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Die Neue Zeitung über die öffentliche Diskussion zur Gleichberechtigungsproblematik (13. Januar 1949)

In der Bundesrepublik gehört 1949 bei der Erarbeitung des Grundgesetzes die Gleichberechtigung von Mann und Frau zu den umstrittenen Themen. Zwar sind sich die Parteien einig, dass die Rechtslage der geänderten gesellschaftlichen Wirklichkeit angepasst und die rechtliche Benachteiligung der Frau im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) aufgehoben werden müsse. Doch die Gegner einer sofortigen Verwirklichung der Gleichberechtigung argumentieren auf der praktischen Ebene: Eine ersatzlose Abschaffung der entsprechenden Abschnitte des BGB sei ebenso wenig möglich wie ihre kurzfristige Anpassung durch den Gesetzgeber. Außerdem sollten die besonderen Schutzfunktionen, die sich aus dem derzeitigen BGB für die Frau ergeben, erhalten bleiben.

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Von den Problemen, die vom Parlamentarischen Rat zu lösen sind, wird in der Öffentlichkeit wohl kaum eine Frage mit solcher Leidenschaft erörtert wie die der Gleichberechtigung der Frau. Die Abgeordneten in Bonn werden mit Briefen überschüttet, in denen mehr oder minder heftige Proteste dagegen erhoben werden, daß in der ersten Lesung des neuen Grundgesetzes im Hauptausschuß der Antrag von Frau Dr. Elisabeth Selbert (SPD) abgelehnt wurde, der lautet: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt!«

Der Hauptausschuß nahm hingegen folgende Bestimmung in die Grundrechte auf: »Männer und Frauen haben die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten. Niemand darf seines Geschlechts ... wegen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Diese Formulierung entspricht dem Ergebnis, zu dem der Grundsatzausschuß gekommen war.

Die Juristen schütteln den Kopf
Es herrscht bei allen Parteien des Parlamentarischen Rates Einmütigkeit darüber, daß Bestimmungen vor allem des Bürgerlichen Gesetzbuches, welche der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, beseitigt werden müssen. Man weiß in allen Kreisen, daß die Frau in viel größerem Umfang als früher die tätige Mitarbeiterin des Mannes geworden ist und in vielen Fällen völlig selbständig ihr Leben führt und Aufgaben erfüllt, die zu Zeiten unserer Väter ausschließlich von Männern gelöst wurden.

Man versteht aus diesem Grund in Bonn durchaus, wenn Frauenorganisationen sich den Antrag von Frau Dr. Selbert immer wieder zu eigen machen. So faßten die im Frauenring Hamburg e. V. vereinigten Frauenorganisationen der Hansestadt in einer Gesamtvorstandssitzung am 8. Januar die Entschließung: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Entgegenstehende Gesetze im BGB sind aufgehoben, Änderungen im BGB sind bis 1950 zu vollziehen.“ Die weiblichen Abgeordneten des Hessischen Landtages fordern in einem gemeinsamen Antrag: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt ... alle sozialen Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen (BGB), sind aufgehoben.“

Die Juristen im Parlamentarischen Rat schütteln über diese Forderungen den Kopf. Zunächst einmal weisen sie darauf hin, daß ein völliges Vakuum in dem Augenblick entstehen würde, in welchem man die Bestimmungen des BGB, in denen die Stellung der Frau festgelegt ist, kurzerhand aufhebt. Aus diesem Vakuum würde sich ein Rechtschaos ergeben. Vor allem würden auch jene Bestimmungen aufgehoben, welche zum Schutz der Frau getroffen wurden. Außerdem ist man davon überzeugt, daß die zu lösenden Fragen einer eingehenden Prüfung bedürfen, und hält es für praktisch unmöglich, die Vielzahl der Bestimmungen, die sich auf die Stellung der Frau beziehen, in einem Zeitraum von wenigen Wochen durch andere zu ersetzen. Die Forderung, daß der künftige Gesetzgeber die entsprechenden Änderungen im BGB bis zum Jahre 1950 durchführen soll, wird als unerfüllbar bezeichnet mit dem Hinweis darauf, daß die Bundesorgane, die frühestens im Mai dieses Jahres gebildet werden können, sich einer übergroßen Zahl von gesetzgeberischen Aufgaben, vor allem auf finanziellem und wirtschaftlichem Gebiet, gegenübersehen werden. So hat es der Redaktionsausschuß vorgeschlagen, einen Artikel in die Übergangsbestimmungen aufzunehmen, der bestimmt, daß die Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über die Stellung der Frau in Kraft bleiben bis zur Anpassung an die Bestimmungen des Grundgesetzes über die Gleichberechtigung, jedoch nicht länger als bis zum 31. März 1953.

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