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Lex Zwickau (1924) und Stellungnahmen dazu (Januar 1932)

1923 enthüllte Gustav Boeters (1869-1942), ein Medizinalrat aus Zwickau, dass er und andere Chirurgen geistig Behinderte ohne deren Einwilligung sterilisiert hatten. Er forderte eine rechtliche Regelung für diese Praxis, publizierte seinen Gesetzentwurf in einer Reihe von Zeitungen und legte ihn der sächsischen Landesregierung zur Beratung vor. Auch wenn das Gesetz nicht angenommen wurde, wurde der Sachverhalt innerhalb der Ärzteschaft in den 1920er Jahren weiter diskutiert. In den frühen 1930er Jahren, als die Preußische Regierung einen Gesetzentwurf für ein Reichsgesetz zur Sterilisation vorlegte, wuchs erneut die Sorge unter Geistlichen, die gegen eugenische Praktiken waren. Der Pastor im Ruhestand und Leiter der „Pfeifferschen Stiftungen zu Magdeburg-Cracau", Martin Ulbrich (1863-1935), schrieb an seinen Freund und Kollegen, Friedrich von Bodelschwingh (1877-1946), der eine ähnliche Einrichtung leitete, und drückte seinen Wunsch aus, gegen Boeters Ideen einzutreten.

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A) Lex Zwickau


§1. Kinder, die wegen angeborener Blindheit, angeborener Taubheit, wegen Epilepsie oder Schwachsinn als unfähig erkannt werden, am normalen Volksschulunterricht mit Erfolg teilzunehmen, sind, sobald wie möglich, einer Operation zu unterziehen, durch welche die Fortpflanzungsfähigkeit beseitigt wird. Dabei sind die für die innere Sekretion wichtigen Organe zu erhalten.

§2. Geisteskranke, Geistesschwache, Epileptiker, Blindgeborene und Taubgeborene, die in öffentlichen oder privaten Anstalten verpflegt werden, sind vor ihrer Entlassung oder Beurlaubung zu sterilisieren.

§3. Geisteskranke, Geistesschwache, Epileptiker, Blindgeborene und Taubgeborene dürfen erst nach erfolgter Unfruchtbarmachung eine Ehe eingehen.

§4. Frauen und Mädchen, die wiederholt Kinder geboren haben, deren Vaterschaft nicht feststellbar ist, sind auf ihren Geisteszustand zu untersuchen. Hat sich erbliche Minderwertigkeit ergeben, so sind sie entweder unfruchtbar zu machen oder bis zum Erlöschen der Befruchtungsfähigkeit in geschlossenen Anstalten zu verwahren.

§5. Strafgefangene, deren erbliche Minderwertigkeit ausser Zweifel steht, ist auf ihren Antrag ein teilweiser Straferlass zu gewähren, nachdem sie sich freiwillig einer unfruchtbar machenden Operation unterzogen haben. Das gerichtliche Verfahren gegenüber Sexual-Schwerverbrechern wird durch ein besonderes Gesetz geregelt.

§6. Die Eingriffe dürfen nur von solchen Ärzten ausgeführt werden, die in Chirurgie und Frauenheilkunde ausgebildet sind und über alle erforderlichen Hilfsmittel verfügen. Operation und Nachbehandlung sind für Minderwertige kostenlos.

§7. Die Sterilisierung vollwertiger Menschen wird wie schwere Körperverletzung bestraft.


Dr. Gustav Boeters

Anm.:„Fakultative Sterilisation“ war im Freistaat Sachsen schon in den zwanziger Jahren üblich. – 1924? –

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