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Der Deutsche Jugendring: Programmatische Flugschrift (19. November 1946)

Der politischen Orientierungslosigkeit der deutschen Jugend nach Kriegsende und der Gefahr ihrer sozialen Verwahrlosung will der im November 1946 gegründete Deutsche Jugendring begegnen. Er will mit seiner Bildungsarbeit und Freizeitgestaltung dabei an positive Traditionen der klassischen deutschen Jugendbewegung der Vorkriegszeit anknüpfen. Die Mitgliedschaft soll Jugendverbänden aller Art einschließlich politischer oder konfessioneller Gruppen offenstehen. Die Idee einer Einheits- oder Staatsjugend im Sinne der nationalsozialistischen Hitler-Jugend (HJ) bzw. des Bundes deutscher Mädel (BDM) wird abgelehnt.

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„Die vom ‘Tag der jungen Generation’ zum 13. Oktober 1914 auf den Hohen Meißner eingeladene deutsche Jugend ruft einmütig dazu auf, überall in Deutschland in Stadt und Land und allen Zonen sich zu Jugendringen in demokratischem Geiste zusammenzuschließen zur gemeinsamen Arbeit mit dem Ziel der Bildung des deutschen Jugendringes. Die deutsche Jugend bekennt sich aus höchster menschlicher und politischer Verantwortung der Jugend aller Völker gegenüber zum Gedenken der Demokratie, sozialen Gerechtigkeit und Völkergemeinschaft. Mit innerer Wahrhaftigkeit will sie damit dem Völkerfrieden dienen.“

Mit diesem Aufruf wurde die Bildung eines Deutschen Jugendrings beschlossen. Die Vorarbeiten wurden unserer Mittelstelle übertragen. Die Ergebnisse unserer Erfahrungen und Vorarbeiten fassen wir wie folgt zusammen:

Der Deutsche Jugendring erstrebt die Sammlung aller lebendigen Kräfte der deutschen Jugend. Also keine neue Einheits- oder Staatsjugend! Die Sorge, daß es wieder dahin kommen könnte, ist berechtigt, aber unbegründet. Der Kurhessische Jugendring z.B. hat in seinen Satzungen ausdrücklich festgelegt, daß die Eigenständigkeit der angeschlossenen Bünde und Verbände auch nach dem Zusammenschluß voll gewahrt bleibt. Der Deutsche Jugendring will überhaupt keine neue Organisation neben den bestehenden Bünden und Verbänden sein. Eher könnte man ihn das Parlament der Jugend nennen, die in demokratischer Weise gebildete Vertretung der gesamten deutschen Jugend. Den bei uns eingegangenen Zuschriften aus allen Ländern und Zonen Deutschlands entnehmen wir, daß die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines solchen Zusammenschlusses im Wachsen begriffen ist. Die Zersplitterung, an der die deutsche Jugendbewegung schon einmal gescheitert ist, darf sich nicht wiederholen.

Wer gehört dazu?

Alle Jugendbünde und -verbände, ob groß oder klein, in Stadt und Land, von welcher Herkunft und Richtung auch immer. In Kurhessen gehören zum Jugendring neben kleineren, örtlich begrenzten Gruppen die evangelische und die katholische Jugend, die Sportjugend, die Pfadfinder, der Jugendbund „Freundschaft“, die Freie Deutsche Jugend. Der Klärung bedarf noch die Frage der Parteijugend. In der amerikanischen Zone z.B. ist die parteipolitische Betätigung Jugendlicher unter 18 Jahren verboten. Wo jedoch Jugendgruppen der politischen Parteien erlaubt sind, steht ihrer Mitgliedschaft im Jugendring u.E. nichts im Wege.

Den Angehörigen der alten Jugendbewegung empfehlen wir: Stellt Euch den neu gebildeten Jugendbünden und -verbänden zur Verfügung. Sie brauchen Euch und Eure Erfahrungen. Oder gründet selber Jugendgruppen. Auf die Bildung reiner Traditionsgruppen bitten wir dagegen zu verzichten. Den Führungsanspruch von dieser Seite hat die Jugend auf dem Hohen Meißner bereits eindeutig abgelehnt.

Der neue Lebensstil der neuen deutschen Jugend

Er ist noch nicht da, er muß jedoch geschaffen oder vielmehr organisch entwickelt werden, wenn anders der unselige HJ-Geist und die sittliche Verwilderung der Nachkriegszeit innerlich überwunden werden sollen. Bei dieser gewaltigen Erziehungsarbeit, vor die heute ausnahmslos alle Bünde und Verbände gestellt sind, kann der Jugendring entscheidende Hilfe leisten: durch Veranstaltung von Lehrgängen für Jugendführer und -leiter sowie durch Einrichtung einer Mittelstelle, die Material und Lehrkräfte für Singen, Volkstanz und Laienspiel vermittelt und zur Verfügung stellt. Darum gehören auch die Singkreise, Musikantengilden, Volkstanzkreise und Laienspielgruppen in den Jugendring hinein. Wir wollen das Erbe der alten Jugendbewegung treulich hüten und pflegen. Wir wissen aber auch, daß wir heute vielfach eigene Wege gehen und neue Formen finden müssen.

Die politische Verantwortung der deutschen Jugend

Daran hat es die alte Jugendbewegung zu ihrem Schaden und zum Schaden des ganzen Volkes weithin fehlen lassen. Heute drohen neue Gefahren: die Gefahr der Politisierung der Jugend von Seiten der Parteien und die Gefahr der Gleichgültigkeit von Seiten der Jugend selbst.

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Quelle: Walter Rosenwald und Bernd Theis, Enttäuschung und Zuversicht. Zur Geschichte der Jugendarbeit in Hessen 1945-1950. München: DJI, 1984, S. 213.

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