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Gemeinsamer Aufruf der KPD und SPD zur demokratischen Schulreform (18. Oktober 1945)

In der sowjetischen Besatzungszone setzen sich SPD und KPD im Oktober 1945 für eine tiefgreifende Umgestaltung des Schulwesens ein. Das bisherige gegliederte Schulsystem soll durch eine Einheitsschule ersetzt werden. Kirche und Schule werden getrennt, d.h. die Schulen sind bekenntnisneutral und der Religionsunterricht wird abgeschafft. Schulpersonal, Lehrpläne und Lehrbücher sowie die Lehrerausbildung müssen demokratischen Ansprüchen genügen und sind von nationalsozialistischen Einflüssen zu säubern.

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Grundsätze für die demokratische Erneuerung der deutschen Schule


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1. Die heranwachsende Generation des deutschen Volkes, berufen, die demokratische Erneuerung Deutschlands zu festigen und zu Ende zu führen, muß frei von nazistischen und militaristischen Gedanken, in einem neuen Geiste, im Geiste einer kämpferischen Demokratie, der Freundschaft unter den friedliebenden Völkern zum selbständigen, aufrechten, freiheitlichen und fortschrittlichen Denken und Handeln erzogen werden.

2. Die Demokratisierung des Schulwesens erfordert eine Säuberung des gesamten Lehr- und Verwaltungspersonals von allen nazistischen und militaristischen Elementen und die Besetzung der Schulrats- und Leiterstellen mit bewährten Antifaschisten.

3. Alle Bildungsprivilegien einzelner Schichten müssen fallen. Das Ziel der demokratischen Schulreform ist die Schaffung eines einheitlichen Schulsystems, in dem die geistigen, moralischen und physischen Fähigkeiten der Jugend allseitig entwickelt, ihr eine hohe Bildung vermittelt und allen Befähigten ohne Rücksicht auf Herkunft, Stellung und Vermögen der Eltern der Weg zu den höchsten Bildungsstätten des Landes freigemacht wird.

4. Die deutsche Schule muß die demokratische Einheit der Nation fördern und festigen. Sie darf nicht mehr durch Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen zerrissen werden. Darum fordern wir bei voller Anerkennung der Glaubens- und Gewissensfreiheit die klare Trennung von Kirche und Schule. Die religiöse Erziehung der Kinder ist nicht Sache der Schule, sondern Angelegenheit des Elternhauses und der Glaubensgemeinschaften.

5. Der Unterricht ist Aufgabe des öffentlichen Schulwesens. Darum kann irgendwelchen Gemeinschaften oder Privatpersonen die Einrichtung von Privatschulen, die den Stoff der allgemeinbildenden Schulen (Volks-, Mittel-, höheren Schulen) vermitteln, nicht zugestanden werden.

6. Die entscheidende Voraussetzung und die wichtigste Garantie für eine wirkliche Demokratisierung der Schule ist ein demokratischer Lehrkörper, ist ein neuer Typ des demokratischen, veranwortungsbewußten und fähigen Lehrers. Die Erzieher unserer Jugend werden ihre großen, die Zukunft unseres Volkes bestimmenden Aufgaben nur erfüllen, wenn sie gewillt und befähigt sind, die heranwachsende junge Generation zu bewußten Trägern des Wiederaufbaues und der Schaffung eines neuen friedlichen, demokratischen Deutschland heranzubilden. Die demokratische Erneuerung des deutschen Schulwesens ist nicht denkbar ohne eine gründliche Reform auch der Lehrerausbildung. Der augenblickliche Mangel an zuverlässigen Lehrkräften für eine wirklich demokratische, dem Frieden und dem Wohle unseres Volkes dienende Erziehung macht es notwendig, Zehntausenden antifaschistisch-demokratischen Kämpfern den Weg zum Lehrerberuf zu erschließen und damit den bestehenden Lehrkörper von Grund auf umzugestalten.

7. Die Demokratisierung der Schule verlangt aber auch eine grundsätzliche Umstellung der Lehrpläne und die Schaffung neuer Lehrbücher. Die für die Übergangszeit erforderliche Übernahme von Lehrbüchern aus der Zeit von vor 1933 soll erst nach sorgfältiger Sichtung erfolgen, da auch in diesen Büchern vielfach Gedankengut enthalten ist, das dem Ziel, Faschismus und Militarismus auszurotten, nicht entspricht.

8. Die geistige Erneuerung unseres Volkes würde auf halbem Wege stehenbleiben, würde sie nicht auch eine gründliche Reform des gesamten Hochschul- und Universitätswesens umfassen. Der neue Geist eines wahrhaft fortschrittlichen Humanismus und kämpferischer Demokratie muß in den Hochschulen Einzug halten. Das erfordert die Rückberufung aller von der Hitlerregierung vertriebenen Dozenten und Professoren, die Zulassung solcher neuen befähigten Kräfte zur Lehrertätigkeit, die durch wissenschaftliche Leistungen und als aufrechte Kämpfer gegen Hitler ihre Berufung bewiesen haben, Lehrer der studierenden Jugend zu sein. Auf dem Wege weitgehender Hilfe mittels Förderkursen und Sonderregelungen in den Hochschulen muß allen Befähigten, die durch den Hitlerfaschismus und durch reaktionäre Bildungsprivilegien bisher vom Studium ferngehalten wurden, auch unter Aufhebung herkömmlicher Aufnahmebedingungen der Weg in die Hochschulen und Universitäten erschlossen werden.

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Quelle: Siegfried Baske und Martha Engelbert, Hg., Zwei Jahrzehnte Bildungspolitik in der Sowjetzone Deutschlands, Bd. 1, Berlin: Osteuropa-Institut an der Freien Universitat Berlin, 1966, S. 5 ff; abgedruckt in Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986, S. 391-92.

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