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Aus dem Sozialbericht der Stadt Aachen über Unterbringung der Familien (1947)

Konkrete Beispiele aus der westdeutschen Stadt Aachen belegen die katastrophalen Lebensbedingungen, die auch zwei Jahre nach Kriegsende noch herrschen. Die Wohnhäuser sind baufällig, ungenügend beheizt und ungenügend mit sanitären Einrichtungen und Mobiliar ausgestattet.

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Familie Josef G., 11 Personen, bewohnt eine Nissenbaracke an der Triererstraße. Außer der Mutter und dem Familienoberhaupte sind 9 unmündige Kinder, darunter ein Säugling von einigen Monaten, vorhanden. Kurz vor dem Kälteeinbruch im vorigen Winter befand sich die Baracke noch in der Fertigstellung. Ein viel zu kleiner Ofen sollte für die notwendige Erwärmung sorgen. Obwohl sich die Familie in der Hauptsache um das kleine Öfchen lagerte, konnte nicht verhindert werden, daß den Kindern Hände und Füße erfroren sind und sie Aufnahme im Krankenhaus finden mußten. Bei dieser Gelegenheit erfroren auch noch 12 Zentner Kartoffeln. Die 11 Personen verfügten über 6 Betten mit je 1 Decke. Wenn es ihnen zu kalt war, legten sie sich zu 3 Personen in ein Bett. Bettzeug fehlt fast gänzlich. Die ganze Zimmereinrichtung besteht aus Herd, Tisch, Küchenschrank und einem kleinen Schrank, Kleiderschrank ist nicht vorhanden. Soweit die Kleider nicht gerade zum Anziehen benötigt werden, hängen sie an der Wand. Zur Zeit liegt ein Kind mit Lungenentzündung danieder.

Familie G. bewohnt mit mehreren Kindern den ersten Stock der Holzbaracke in der Schönforsterstr. Das Erdgeschoß ist ohne Holzbekleidung, sodaß das darüberliegende Zimmer fast frei in der Luft schwebt. Es besteht Einsturzgefahr. Die benutzbaren Räume haben noch keine Fensterrahmen, geschweige denn Fenster. Jungen und Mädchen schlafen zusammen. Die sogenannten Betten haben nur zerrissenen, nicht mehr zu reparierenden Inhalt. Ein Schrank ist nicht vorhanden. Der Klosettraum ist auf primitivste Art mit den Wohnräumen verbunden. Die Türe fehlt, Wäsche und Kleidung sind kaum vorhanden. Die Kinder laufen barfuß. Die Erwachsenen befinden sich in zerlumpten Kleidern.

Im Hause Küttenstraße 56 wohnen 6 Familien, meistens Wohlfahrtsempfänger. Hier ist kein Dach, kein Schutz gegen die Unbilden der Witterung. Die Treppe wird auf Pfählen gestützt. Der Sturm, der auf dieser Höhe immer sehr beträchtlich ist, braust mächtig durch alle Räume. Bei schlechtem Wetter müssen die Leute mit ihrer armseligen Habe andere Unterkunft aufsuchen. Bei Regenfall werden alle verfügbaren Eimer und Kessel herausgeholt, um die herabstürzenden Wassermassen aufzufangen. Sanitäre Anlagen sind nicht vorhanden. Die Notdurft wird auf einem Eimer verrichtet, der dann auf einem Müllhaufen entleert wird. Das Wasser muß aus einem Nebenhaus geholt werden.

Das Haus Wespenstr. 2, durch Bombentreffer zur Hälfte weggerissen und im übrigen ganz erheblich zerstört, ist bewohnt. Es ist kaum glaublich, daß darin überhaupt Menschen wohnen können. Man hat die Empfindung, daß auch dieser Hausteil jeden Moment zusammenbrechen wird. Wände und Deckenverputz sind abgebröckelt, Fenster bzw. Fensterrahmen fehlen, einströmender Regen hat das Gemäuer unterhöhlt. Die Kälte hat ungehinderten Zutritt. Im Winter sind Treppen und Gänge eine Eisfläche. Jeder Versuch, die Wohnung zu erwärmen, muß bei diesen Umständen scheitern. Wasser gibt es in diesem Hause nicht. Es muß ca. 100 Meter weit hergeholt werden. Der Zustand der sanitären Anlagen ist nicht zu beschreiben. Es wird jetzt versucht, notdürftig ein Klosett einzurichten. Bisher wurden die Bedürfnisse in den herumliegenden Trümmern verrichtet. Die Zimmereinrichtungen sind äußerst dürftig. Es fehlt an allem. Die dort wohnende Familie E. besteht aus 4 Personen und benutzt 2 Räume. Als Küchenschrank dient eine Holzkiste, ein kleiner Ofen soll die Räume erwärmen. Im Schlafzimmer steht ein Feldbett und 1 Kinderbett. Betteinlagen sind nicht vorhanden. Eine Wolldecke dient als Unterlage. Selbstverständlich fehlt es auch an einem Kleiderschrank. Der Regen hat zu allen Räumen Zutritt. Eine weitere Familie wohnt mit 3 Personen im gleichen Hause in einem Raum. Auch hier sind kaum die notdürftigsten Einrichtungsgegenstände vorhanden.



Quelle: Die sozialen und gesundheitlichen Verhältnisse der Bevölkerung der Stadt Aachen, HSTA/Bestand NW 43/457, S. 32 ff., abgedruckt in Klaus-Jörg Ruhl, Hg., Frauen in der Nachkriegszeit 1945-63. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1988, S. 14-16.

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