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„Amerikanische Kulturbarbarei bedroht unere Jugend”: Artikel aus Neues Deutschland (1950)

In der DDR wird die amerikanische Populärkultur, die nach dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenen Formen ihren Siegeszug durch Europa antritt, frühzeitig abgelehnt. Das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ sieht im Frühjahr 1950 in der „Verbrecherromantik“ amerikanischer Filme und Romane eine gezielte Strategie, besonders die Jugend zu verrohen und gegen Gewalt abzustumpfen, um so die Führung eines Atomkriegs ideologisch vorzubereiten.

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Amerikanische Kulturbarbarei bedroht unsere Jugend


Unmittelbar und handgreiflich läßt sich der verderbliche Einfluß der aus den USA importierten Gangsterschmöker und Verbrecherfilme im Prozeß gegen den 19jährigen Raubmörder Gladow und seine Bande nachweisen.

Mit eitlem Lächeln erklärte Gladow, daß sein „großes Vorbild“ der amerikanische Verbrecherkönig Al Capone gewesen sei. Hunderte von Verbrechergeschichten waren seine Lehrbücher. Aus ihnen hat er viele „Kniffe“ gelernt. Er hat die Fehler in der „Konstruktion der Verbrechen“ dieser Schmöker „studiert“ und alles das „vermieden“, was dort zur Entdeckung führte. Das gab ihm „Sicherheit und Selbstvertrauen“. Und noch eine andere interessante Aussage flel: Der jugendliche Gangster erklärte unter anderem, sein „Lieblingsblatt“ sei der Westberliner „Abend“ gewesen, „weil er die besten Mordgeschichten bringe“.

Ein Blick in Gladows Leib- und Magenblatt rechtfertigt dieses „Kompliment“. Dies sind einige Überschriften aus einer einzigen Nummer: „Passant vereitelte Menschenraub“ – „Nacht der Gerüchte“ – „Bigamie mit fünf Frauen“ – „Rudi hinter Gittern“ – „Mit der Gartenhacke erschlagen“ – „Ein Häuflein Weib auf der Treppe“ – „Aus der Historie der Räuberbanden“ und ein „Eigenbericht“ über die Tätigkeit eines „berühmten“ Rauschgiftgangsters und über Amerikas scharmante vielseitige Polizistinnen, die mit „Lippenstift, Puder und Wimperntusche ebenso geschickt umzugehen wissen wie mit ihren kleinkalibrigen Revolvern“. Andere Westzeitungen geben dem „Abend“ in bezug auf Verbrecherromantik nichts nach.

Der 13jährige, der vor kurzem eine Greisin erschlug, um das Geld für ein Fahrrad und für weitere Kinobesuche mit solchen Mörderfilmen wie „Der Bagno-Sträfling“, „Der Herr der sieben Meere“ usw. zu haben, und eine ganze Reihe ähnlicher Fälle jugendlicher Mörder und Verbrecher der letzten Zeit gehören auf die gleiche Rechnung. Sie sind die Früchte der Überschwemmung mit Gangsterschmökern und Verbrecherfilmen, die kürzlich in ihrer Heimat ein republikanischer Senator im amerikanischen Senat als „Erziehung zu perfekten Mördern“ zu bezeichnen gezwungen war.

Er kam um diese Feststellung nicht herum, weil nämlich in den USA die Jugendkriminalität durch die Massenproduktion dieser Gangsterbildstreifen und Verbrecherliteratur um ein Drittel gestiegen ist. Allein im Jahre 1949 wurden in den USA 22 Morde von Kindern im Alter von 9 bis 16 Jahren begangen! Damit hat dieses Land mit der ohnehin größten Verbrecherstatistik auch den traurigen Ruhm, daß Kinder als Mörder keine außergewöhnliche Erscheinung mehr sind.

Und wen kann das wundern, wenn man erfährt, daß unter anderem allein in einer einzigen Woche in den Fernsehprogrammen der kalifornischen Sendestationen 91 Morde, 7 Überfälle, 3 Kindesentführungen, 10 Diebstähle, 4 Einbrüche, 2 Brandstiftungen, 2 Selbstmorde und eine Explosionskatastrophe mit 20 Toten mit allen Einzelheiten gezeigt wurden. Außerdem brachten sogenannte „psychologische Reißer“ Szenen, in denen Neger gelyncht wurden, Vampire Schlafenden das Blut aussaugten und ein Irrenarzt Experimente mit seinen Patienten machte!

Millionen Kinder wachsen unter den Eindrücken solcher Szenen und solcher Lektüre auf. Allein in den USA erscheinen monatlich etwa 300 bis 400 Kriminalmagazine und Verbrechergeschichten in Serien in einer Gesamtauflage von 80 Millionen Stück, das ist ein Drittel des gesamten amerikanischen Zeitschriftenumsatzes. Das heißt, daß das Gift der „Musterbeispiele“ – wie Bill Jenkins, Al Capone oder Tim Jefferson ihre Rivalen niederschlagen, abschlachten oder mit den raffiniertesten modernen Foltermethoden Geständnisse erpressen, Überfälle inszenieren oder „Rache“ üben – in die Hirne von weit über 80 Millionen von Kindern und Halbwüchsigen getrichtert wird. Denn diese Schwarten werden noch weit über den Käuferkreis hinaus gelesen und ausgetauscht.

Das bedeutet weiter, daß diese 80 Millionen kindlicher Leser sich durch diese Lektüre daran gewöhnen, die Organisierung von großangelegten Verbrechen, Zugentgleisungen, Sprengstoffattentaten, Brandstiftungen usw., die Hunderte von Menschenleben kosten, als durchaus nichts Ungewöhnliches anzusehen und ein vollbrachtes Verbrechen einem gelungenen „Heldenstück“ gleichsetzen. Vielfach sind diese grausigen Mordtaten noch mit besonderen erotischen Anreizen gespickt. In den „Superman-Serien“ ist z. B. der muskelgeschwellte Held immer von einem „Detektiv-Mädchen“, einem Pin-up-Girl mit Netzstrümpfen und langen schwarzen Handschuhen begleitet.

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