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Laszlo Mohloly-Nagy, „Tafelbild, Architektur und Gesamtkunstwerk” (1927)


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Die Lebensauffassung der vorigen Generation lautete: Der Mensch hat sein Alltagsleben zu leben und in seine Mußestunden darf er sich mit den Fänomenen „künstlerischer“ Gestaltung, mit ihren „durchgeistigen“ Werken beschäftigen. Diese Auffassung führte im Laufe der Zeit zu unhaltbaren Zuständen. So z.B. in der Malerei: statt eine Arbeit nach ihrem Ausdrucksgesetz, nach einem Verwurzeltsein mit dem Leben einer Kollektivität zu werten, legte man ganz persönliche Maßstäbe an, und stempelte so die Sache der Allgemeinheit zu einer individuellen Liebhaberei. Diese übertrieben subjektive Haltung des Aufnehmenden wirkte auf manchen Gestalter in der Weise zurück, daß er langsam verlernte , das Wesentliche, das biologisch bedingte zu geben, und stattdessen mit der Absicht des „Kunstmachens“ das Kleinliche, Unwichtige und oft nur aus den große Einzelwerken historisch oder subjektiv a b g e l e i t e t e ästhetische Formel packte. Die gegen diesen Verfall der malerischen Gestaltung auftretende Opposition (Kubismus, Konstruktivismus) versuchte die E l e m e n t e u n d M i t t e l d e s A u s d r u c k s s e l b s t zu läutern, ohne die A b s i c h t, damit „Kunst“ schaffen zu wollen. „Kunst“ entsteht, wenn der Ausdruck ein Optimum ist, d.h. wenn er in seiner Höchstintensität im Biologischen wurzelnd, zielbewusst, eindeutig, rein ist). Der zweite Weg war, daß man versuchte, die voneinander isolierten Werke oder einzelnen Gestaltungsgebiete, in eine E i n h e i t zusammenzufassen. Diese Einheit sollte das „Gesamtkunstwerk“, die Architektur sein, als die Summe aller Künste. (Stijl-Gruppe, Holland; erste Periode des Bauhauses.) Der Gedanke eines Gesamtkunstwerkes war leicht verständlich, gestern, in der Zeit größter Spezialisierungen. Diese hatten durch ihre Verästelungen und ihre alle Gebiete zerstückelnde Wirkung jeden Glauben an die Möglichkeit vernichtet, die Gesamtheit aller Gebiete, die T o t a l i t ä t d e s L e b e n s e r f a s s e n zu können. Da das Gesamtkunstwerk nur eine Addierung, wenn auch eine organisierte ist, können wir uns heute damit nicht begnügen. Was wir brauchen, ist nicht das „Gesamtkunstwerk“, neben dem das Leben getrennt hinfließt, sondern die s i c h s e l b s t a u f b a u e n d e Synthese aller Lebensmomente zu dem alles umfassenden G e s a m t w e r k (Leben), das jede Isolierung aufhebt, in dem alle individuellen Leistungen aus einer biologischen Notwendigkeit entstehen und in eine universelle Notwendigkeit münden.



Quelle: Laszlo Moholy-Nagy, Malerei, Fotografie, Film, Bauhausbücher 8, 1925, 1927; abgedruckt in Neue Bauhausbücher. Mainz: Florian Kupferberg Verlag, 1967, S. 14-15.

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