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Hans Surén, Auszüge aus Der Mensch und die Sonne (1925)

Hans Surén (1885-1972) hatte als Offizier während des Ersten Weltkriegs in Namibia gekämpft und wurde nach dem Krieg zum Leiter einer Heeressportschule bei Berlin ernannt. Ab 1924 begann er mit dem Verfassen von Büchern über Sport und Freikörperkultur als Grundlagen des gesunden und „sittlichen“ Lebens und wurde zu einem der Wortführer des Naturismus in Deutschland. Diese beiden Auszüge stammen aus seinem Buch Der Mensch und die Sonne (1925), in dem er sportliche Betätigung in der Sonne ohne Bekleidung zum idealen Weg zur „Vollendung des Körpers“ erklärt. Der von Surén propagierte Körperkult fügte sich nahtlos in die nationalsozialistische Ideologie, sodass 1936 eine überarbeitete Auflage seines Buches mit nationalistischem und rassistischem Oberton erschien. Surén selbst wurde zunächst zur NS-Vorzeigefigur für den „arisch-olympischen Geist“, fiel jedoch in Ungnade, nachdem er 1942 wegen öffentlichen Masturbierens zu einer Geldstrafe verurteilt und aus der NSDAP ausgeschlossen wurde. Während der letzten Jahre des NS-Regimes war er im Zuchthaus Brandenburg inhaftiert und lebte nach 1945 zurückgezogen in Berlin.

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Nacktheit und Gymnastik waren bereits seit Jahrhunderten die Ursachen der Kraft und Gesundheit des griechischen Volkes. Nackt übte das Volk täglich auf dem Sportplatz — dem Gymnasion bzw. der Palästra — Jünglinge, Männer und auch die Mädchen, doch waren letztere nicht immer beim Training der Männer zugegen. An besonderen Tagen vereinigten rhythmische und sakrale Tänze beide Geschlechter. Es muß eine Pracht gewesen sein, die nackten Körper, hingerissen von hoher Begeisterung, im Schwung des Rhythmus zu schauen. Bei den sittenstrengen Spartanern übten auch die Jungfrauen gemeinsam mit den Jünglingen nackend. Getragen von diesen sittlichen Anschauungen war das neue Gesetz möglich, bei den olympischen Spielen vollkommen nackend in die Kampfbahn zu treten. So wurde die Tat des Orsippos zu einer neuen Säule des herrlichen Tempels griechischer Kultur.

Mir scheint, daß unsere heutige Zeit für ein ähnliches sportliches Gesetz reif werden könnte. Ja — die Not unserer Zeit gebietet, fortan alle sportlichen Übungen und Kämpfe nackend bis auf einen Lendenschurz zu pflegen und auszutragen. Das ist für die Wiedergeburt allgemeiner Volkskraft ein notwendiges Gebot und sollte ebenso für Frauen und Mädchen, in deren Kraft und Gesundheit die Zukunft eines Volkes liegt, gefordert werden. Vom männlichen Geschlecht würde diese Nacktheit schon jetzt freudig aufgenommen werden, denn der Mann fühlt sich im allgemeinen körperlich freier als das Weib. Doch auch die Frauen und Mädchen werden im Laufe der Zeit beim Sport und Spiel die Hüllen abwerfen, um in sich dieselbe Körperfreude zu erleben und so einen wichtigen Grundstein zu reiner Moral zu legen. Vielleicht wird später, wenn der sittliche Geist gefestigt ist, dem Volk ein neuer Orsippos erstehen und der Reinheit und Schönheit einen erhöhten Ausdruck geben.

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Sport mit seinem Kampf, Leibesübungen mit dem Stahlbad der Gymnastik, rhythmische Bildung mit den Freuden persönlichen Erlebens, Spannung und Entspannung des Körpers, Turnen, Wandern, Sonnenbaden und in welch vielfältiger Form der Mensch noch suchen mag – alles muß ein Streben nach Vollendung des ganzen Körpers sein. Diese Vollendung, so weit sie sich sinnfällig im Körper offenbart, können wir nur in der Natur schauen und erleben. Alle Anschauungen und Wege sind richtig, sind sie beseelt von diesem wahren Streben. Aus dieser Erkenntnis ersteht der wahrhaft olympische Geist – er sei uns ein Symbol! Die Zeiten Olympias sind unwiderruflich dahin, und es wäre falsch, gleiche Zeiten herbeiführen zu wollen. Doch als Symbol diene uns jene Kultur körperlich-geistiger Gesundheit, deren Werke vollkommenster Reife auf allen Gebieten der Nachwelt ewige Beispiele und Vorbilder gaben. – Das Streben nach harmonischer Gesundheit ist an eherne Gesetze gebunden, sich ihnen anzupassen, ist Pflicht der Menschen. Das Wohl und Wehe eines Volkes hängt von der körperlichen und sittlichen Beschaffenheit jedes einzelnen ab, ein Wissen, das bereits Spartas Gesetzgeber Lykurg und der Athener Solon erkannten. So schrieben Führer vor Jahrtausenden und handelten danach, sie und ihr Volk suchten Erholung, Stärkung und sittliche Kraft im Gymnasion – in der Palästra. – Die Ausbildungswege werden wechseln und sich ändern, der Staat mag eingreifen, oder der einzelne frei handeln, doch fest und unwandelbar wird durch alle Zeiten stehen – der beseelte Körper in Natur und Sonne in all seiner Pracht als Ideal – der Gymnast – der Sonnenmensch.

Notzeit ist um uns – Volk ist in Not – Führer brauchen wir – und Gesetze. Der einzelne vermag sich kaum mehr zu retten, die erdrückende Schwere hält ihn gefesselt. Ringsum lauern Siechtum, Krankheit und Tod – doch droben vom Himmel strahlt die allgütige Sonne. Umsonst ihr Strahlen, umsonst ihre Kraft, weil Einsicht und Führung fehlen. Viel wird gesprochen und geschrieben, doch wo sind die Männer der Tat? Schon flackern hier und dort Zeichen des olympischen Geistes empor, man liest in den Zeitungen von der Notwendigkeit allgemeiner Dienstzeit und Körperdienstpflicht. Eine Heeresdienstpflicht, zu sehr gebunden durch die Fülle der Waffentechnik und Berufsaufgaben, vermag nur unvollkommen diesen Zielen zu dienen. Die Zukunft eines Volkes beruht auf seiner körperlichen und sittlichen Rüstung, an ihr gemessen ist Waffenrüstung nur ein Stückwerk. Wirtschaftsnot und Konkurrenzkampf lassen eine rein körperliche Dienstpflicht nicht zu; diese aber verbunden mit Arbeitspflicht kann ein Weg zur Wiedergesundung werden. Arbeit und Leibesübungen im ständigen Wechsel werden die gesunde Volkskraft wiederbringen. Darum auf – die starken Menschen an die Front, die Führernaturen mit Sonne im Herzen und offenem Sinn für neue Erkenntnisse.

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Quelle: Hans Surén, Der Mensch und die Sonne. Stuttgart: Dieck & Co. 1925, S. 138-42, 192-95.

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