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Thomas Mann, „Von Deutscher Republik” (1922)


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VON DEUTSCHER REPUBLIK GERHART HAUPTMANN ZUM SECHZIGSTEN GEBURTSTAG

Sie waren unter meinen Zuhörern, Gerhart Hauptmann, darf ich Sie erinnern? als ich an einem Tage der Goethe-Woche zu Frankfurt in der Universität über Bekenntnis und Erziehung, über Humanität also, sprechen durfte; in erster Reihe saßen Sie vor mir, und hinter Ihnen war das Festauditorium bis zur Empore hinauf voll akademischer Jugend. Das war schön; und so sei es heute wieder. Noch einmal, kraft meiner Einbildung, will ich Sie vor mir haben, wie damals, daß ich Sie anspreche zu Ihrem Geburtstag, werter Mann; und wenn ich den Kopf ein wenig höher hebe, soll deutsche Jugend da sein und ihre Ohren spitzen, denn auch zu ihr will ich, über Ihre Person hinweg, heute wieder reden, auch mit ihr, wie die Wendung lautet, wenn der Sinn jenes Hühnchens darin liegen soll, das zu pflükken ist, habe ich zu reden [ . . . ] ich werde zu Ende reden und Herz und Geist daran setzen, sie zu gewinnen. Denn gewonnen muß sie werden, soviel ist sicher, und ist auch zu gewinnen, da sie nicht schlecht ist, sondern nur stolz und vertrotzt in ihren scharrenden Teilen.

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Krieg ist Romantik. Niemand hat je das mystisch-poetische Element geleugnet, das ihm innewohnt. Zu leugnen, daß er heute spottschlechte Romantik, ekelhaft verhunzte Poesie ist, wäre Verstocktheit. Und um das Nationale nicht völlig in Verruf kommen, es nicht gänzlich zum Fluche werden zu lassen, wird nötig sein, daß es, statt als Inbegriff alles Kriegsgeistes und Geräufes, vielmehr, seiner künstlerischen und fast schwärmerischen Natur durchaus entsprechend, immer unbedingter als Gegenstand eines Friedenskultus verstanden werde.

(Man scharrt)

Jungmannschaft, – nicht diese Töne! Ich bin kein Pazifist, weder von der geifernden noch von der öligen Observanz. Der Pazifismus als Weltanschauung, als seelisches Vegetariertum und bürgerlich-rationale Glücksphilanthropie ist nicht meine Sache. Aber er war auch eines Goethe Sache nicht, oder wäre es nicht gewesen, und dennoch war er ein Mann des Friedens. Ich bin kein Goethe; aber ein wenig, irgendwie, von weither, bin ich, mit Adalbert Stifter zu reden, »von seiner Familie«, und auch mein Teil ist der Friede, denn er ist das Reich der Kultur, der Kunst und des Gedankens, während im Kriege die Roheit triumphiert [ . . . ] nicht sie allein, seid still, ich weiß es, aber wie der Mensch ist, wie es heute um unsere Welt steht, fast nur noch sie. Die Welt, die Völker sind alt und klug heute, die epischheroische Lebensstufe liegt für jedes von ihnen weit dahinten, der Versuch, auf sie zurückzutreten, bedeutet wüste Auflehnung gegen das Gesetz der Zeit, eine seelische Unwahrheit, der Krieg ist Lüge, selbst seine Ergebnisse sind Lügen, er ist, wieviel Ehre der Einzelne in ihn hineinzutragen willens sein möge, selbst heute aller Ehre bloß, und darum stellt er dem Auge, das nicht sich selbst betrügt, als Triumph aller brutalen und gemeinen, der Kultur und dem Gedanken erzfeindlich gesinnten Volkselemente, als eine Blutorgie von Egoismus, Verderbnis und Schlechtigkeit fast restlos sich dar.

[ . . . ]

Mein Vorsatz ist, ich sage es offen heraus, euch, sofern das nötig ist, für die Republik zu gewinnen und für das, was Demokratie genannt wird, und was ich Humanität nenne, aus Abneigung gegen die humbughaften Nebengeräusche, die jenem anderen Worte anhaften, (eine Abneigung, die ich mit euch teile) – dafür zu werben bei euch im Angesicht dieses Mannes und Dichters hier vor mir, dessen echte Popularität auf der würdigsten Vereinigung volkhafter und menschheitlicher Elemente beruht. Denn ich möchte, daß das deutsche Antlitz, jetzt leidvoll verzerrt und entstellt, dem seinen wieder gliche, – diesem Künstlerhaupt, das so viel Züge aufweist des Bildes hoher Biederkeit, das sich für uns mit dem deutschen Namen verbindet.

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