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Thomas Mann, „Zur jüdischen Frage” (1921)


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Sehr geehrter Herr Frisch!

Über den Gegenstand, zu dem Sie mir das Wort erteilen, ohne daß ich, geben Sie mir das zu, mich eigentlich gemeldet hätte, ist in Ihrem Augustheft schon so Kluges, Tiefdringendes, ja Entscheidendes gesagt worden, daß es mir sehr gewagt scheinen muß, mich auch meinerseits noch dazu vernehmen zu lassen. Eine rein persönliche Haltung wird das sicherste Mittel sein, mich vor Blamage zu schützen, — wie denn das Persönliche die Zuflucht derer ist, die die Unerschöpfbarkeit der Dinge recht lebhaft empfinden; dazu die natürlich gegebene Äußerungsform für eine gewisse abenteuernde Weltkindlichkeit, zu der ich mich wohl möchte bekennen dürfen und deren Sache es eher ist, zwischen den Fragen und mit ihnen zu leben, als druckfähige Antworten darauf bereit zu haben. Selbst zu dem Geständnis bin ich unter Freunden fähig, daß es mir von jeher näherlag, zu fragen: „Wie komme wohl ich durch die Welt?“ als: „Welche Meinungen bilde ich mir über dieselbe?“ Da aber ist nun sogleich die Sache die, daß eben die Schwierigkeit des durch die Welt Kommens einem Menschen wie mir durch das Judentum aufs höchste erleichtert wird, — dies in dem Grade, daß ein Aufgreifen und Vorweisen antisemitischer Meinungen (die ja, wie die Annonce sagt „überall erhältlich“ sind) meinerseits einer grotesken Undankbarkeit gleichzuachten wäre, einer Undankbarkeit kolossalischen Stiles, wie sie allenfalls Richard Wagner zukam, aber doch mir nicht.

Es scheint mir also anständig, mich, zur Rede gestellt über das jüdische Problem, durch keinerlei „Große Gesichtspunkte“, weder durch geistige Umwälzungen wie den Untergang des Liberalismus, noch durch verantwortungsvolle Erwägungen philosophisch-politischer, rassenbiologischer oder ähnlicher Art verwirren zu lassen, sondern mich an die Tatsachen meines Lebens zu halten, die judenfreundlich sind, wie es die Lebenstatsachen jedes Menschen, der auf nicht ganz gang und gäbe Art durch die Welt zu kommen geboren ist, nach redlicher Aussage immer sein werden.

Ich denke zurück, — schon meine frühesten Erinnerungen in Richtung auf das Phänomen des jüdischen Mitmenschen sind freundlich. Es waren da Schulkameraden . . . ich kam vortrefflich mit ihnen aus, bevorzugte wohl gar ihren Umgang, instinktweise und ohne es mir bemerklich zu machen. In Quarta saß neben mir eine Weile ein Knäbchen Carlebach, Rabbinerssöhnchen, quick, wenn auch eben sehr reinlich nicht, dessen große, kluge, schwarze Augen mich freuten, und bei dem ich den Haar-Anwuchs hübscher fand als bei uns anderen, die wir nicht nach der Biblischen Geschichtsstunde in die Klasse kamen. Auch hieß er Ephraim, ein Name, erfüllt von der Wüstenpoesie eben jener Stunde, von der seine Besonderheit ausgeschlossen war oder sich ausschloß, markanter und farbiger, wie mir schien, als Hans und Jürgen. Was ich aber dem kleinen Ephraim namentlich nicht vergesse, war die unglaubliche Geschicklichkeit, mit der er mir beim Verhör einzublasen verstand, seinerseits aus dem Buche lesend, das er hinter dem Rücken seines Vordermannes aufgeschlagen hielt.

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