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Stefan George, „Der Mensch und der Drud” (1928)

Viele der im Das neue Reich enthaltenen Gedichte wurden ursprünglich zwischen 1914 und 1919 in Blätter für die Kunst veröffentlicht. Die Literaturzeitschrift wurde 1892 von Stefan George gegründet und diente als vertrauliches Forum für Dichter und ähnlich-gesinnte Intellektuelle, welcher später als George-Kreis bekannt wurden. Die Blätter für die Kunst erklärten: „Die name dieser veröffentlichung sagt schon zum teil was sie soll: der kunst besonders der dichtung und dem schrifttum dienen, alles staatliche und gesellshaftliche ausscheidend.“ Die letzte Ausgabe erschien 1919.

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Der Mensch und der Drud

Der Mensch
Das enge bachbett sperrt ein wasserfall –
Doch wer hängt das behaarte bein herab
Von dieses felsens träufelnd fettem moos?
Aus buschig krausem kopfe lugt ein horn ..
So weit ich schon in waldgebirgen jagte
Traf ich doch seinesgleichen nie ... Bleib still
Der weg ist dir verlegt • verbirg auch nichts!
Aus klarer welle schaut ein ziegenfuss.

Der Drud
Nicht dich noch mich wird freun dass du mich fandst.

Der Mensch
Ich wusste wol von dir verwandtem volk
Aus vorzeitlicher märe – nicht dass heut
So nutzlos hässlich ungetüm noch lebt.

Der Drud
Wenn du den lezten meiner art vertriebst
Spähst du vergeblich aus nach edlem wild
Dir bleibt als beute nager und gewürm
Und wenn ins lezte dickicht du gebrochen
Vertrocknet bald dein nötigstes: der quell.
Die schätze hoben wir von see und grund
Zum himmel rufen steine unsre siege ..
Was willst du überbleibsel grauser wildnis?
Das licht die ordnung folgen unsrer spur.

Der Drud
Du bist nur mensch .. wo deine weisheit endet
Beginnt die unsre du merkst erst den rand
Wo du gebüsst hast für den übertritt.
Wenn dein getreide reift dein vieh gedeiht
Die heiligen bäume öl und trauben geben
Wähnst du dies käme nur durch deine list.
Die erden die in dumpfer urnacht atmen
Verwesen nimmer • sind sie je gefügt
Zergehn sie wenn ein glied dem ring entfällt.
Zur rechten weile ist dein walten gut •
Nun eil zurück! du hast den Drud gesehn.
Dein schlimmstes weisst du selbst nicht: wenn dein sinn
Der vieles kann in wolken sich verfängt
Das band zerrissen hat mit tier und scholle –
Ekel und lust getrieb und einerlei
Und staub und strahl und sterben und entstehn
Nicht mehr im gang der dinge fassen kann.

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