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Luther und Kaiser Karl V. auf dem Reichstag zu Worms (1521)

Bei Luthers Ankunft in Worms unter sicherem Geleit waren seine Lehren in Rom bereits verurteilt worden. Genau genommen besaßen Kaiser du Reichstag lediglich die Gewalt, diese Verdammung Luthers in die Tat umzusetzen, indem sie ihn ächteten. Die folgenden Ereignisse waren jedoch in der Geschichte des Reichs erstmalig: Kaiser und Reichstag ergriffen den ungewöhnlichen Schritt, Luther eine Anhörung anzubieten. Insofern unterschied sich Luthers Schicksal erheblich von dem des böhmischen Reformers Jan Hus, der nach seiner Verurteilung durch das Konzil von Konstanz ein Jahrhundert zuvor von demselben Kaiser, der ihm sicheres Geleit ausgesprochen hatte, hingerichtet wurde.

Diese Dokumente – Luthers Erklärung (A) und Kaiser Karls Erwiderung (B) – markieren einen bedeutenden historischen Augenblick. Luther weigerte sich, die veröffentlichten Ansichten zurückzunehmen, die Rom verurteilt hatte – für ihn hätte die Anerkennung der separaten Autorität der Kirche gegen die Bibel, sein Gewissen, sowie die Vernunft verstoßen. Seine Wormser Erklärung wurde zum Schlachtruf der sogenannten protestantischen Reformation. Die Erwiderung des jungen Kaisers, die am folgenden Tag von einem Redner vorgetragen wurde, war nicht weniger historisch: wie schon seine Vorfahren vor ihm erkannte er die Autorität und Lehren der Kirche an und würde diese verteidigen. Selbstredend war dieser Austausch asymmetrisch. Während Luther auf die unabhängige, alleinige Autorität der Bibel pochte, verteidigte Karl die kirchlichen Traditionen und die ausgeübte Frömmigkeit, welche seit der Zeit der Apostel Bestand hatte. Worms brachte also ein theologisches Problem – den Konflikt zwischen Heiliger Schrift und Tradition – aus den Vorlesungssälen heraus und in das höchste Forum des öffentlichen Lebens im Reich. Die Nachricht von dieser beeindruckenden Auseinandersetzung verbreitete sich durch Flugschriften rasch im gesamten Reich und wurde innerhalb weniger Monate zum Gegenstand beispiellosen öffentlichen Interesses.

Im Mai 1521 erließ der Kaiser im Namen des Reichstages das sogenannte Wormser Edikt (C) gegen Luther, seine Anhänger und seine Schriften, sowie gegen jedermann, der sie herstellte oder verkaufte. Dieser Erlass stellte die legale Grundlage dar, durch die Luther mehr oder weniger effektiv für den Rest des Jahrzehnts zum Ortswechsel gezwungen wurde.

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A. Luther auf dem Reichstag zu Worms
Flugschrift


Allergnädigster Kaiser, hochberühmte Fürsten, was jene zwei Artikel angeht, die mir gestern durch Eure heilige Majestät vorgelegt worden sind, nämlich ob ich die aufgezählten und unter meinem Namen ausgegangenen Bücher als die meinen anerkenne und ob ich auf deren Verteidigung beharren oder widerrufen wolle, so habe ich bezüglich des ersten Punktes meine bereitwillige und klare Antwort bereits gegeben, zu der ich bis jetzt stehe und zu der ich auch in Ewigkeit stehen will: Meine Bücher sind unter meinem Namen und von mir verbreitet worden, wenn nicht inzwischen etwa geschehen ist, daß durch die List und unangebrachte Weisheit der Feinde irgend etwas in ihnen verändert oder sinnentstellend ausgezogen worden ist. Denn etwas anderes kann ich selbst nicht anerkennen, als was mir allein gehört und von mir selbst geschrieben wurde, abgesehen von aller wie auch immer beschaffenen [fremden] Auslegungsarbeit.

Wenn ich nun aber auf den zweiten Punkt antworte, so bitte ich, daß Eure heilige Majestät und Eure Herrschaften es für wert erachten, dessen eingedenk zu sein, daß meine Bücher nicht alle von derselben Art sind.

Es gibt da einige, in denen ich über Glauben und Sitten derart einfach und evangelisch gehandelt habe, daß sogar die Gegner gezwungen waren zuzugeben, daß sie nützlich, unschädlich und offensichtlich wert sind der Lektüre eines Christen. Aber auch die Bulle, die sonst wohl Wütendes und Grausames enthält, bezeichnet einige meiner Bücher als unschädlich, wenn sie sie auch verdammt in einem wirklich ungeheuerlichen Urteil. Deshalb bitte ich, was würde ich tun, wenn ich es unternähme, diese Bücher zu widerrufen, und zwar als einziger unter allen Sterblichen diese Wahrheit verdammte, die Freunde und Feinde in gleicher Weise bekennen, mich also allein dem einmütigen Bekenntnis aller widersetzte?

Eine zweite Art [von Büchern] richtet sich gegen das Papsttum und die Sache der Papisten, das heißt gegen solche, die mit ihren sehr schädlichen Lehren und Beispielen die Christenheit als durch ein doppeltes Übel geistlich und körperlich zerstören. Denn keiner kann es leugnen und verhehlen, weil die Erfahrung aller und die Klagen der ganzen Welt es bestätigen, daß durch die Papstgesetze und Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen auf elendeste Weise verstrickt, gequält und gemartert worden sind. Dann wurden auch Besitztümer und Vermögenswerte, vornehmlich in dieser berühmten deutschen Nation, durch unglaubliche Tyrannei verpraßt. Und das geschieht bis jetzt weiter ohne Ende auf unwürdigste Weise. Und selbst in ihren Dekretalen verwahren sie sich davor, daß Papstgesetze und -lehren dem Evangelium oder den Lehrmeinungen der Väter widersprechen; diese würden als irrig und verworfen angesehen werden. Wenn ich also auch diese [Bücher] widerrufen würde, würde ich nichts anderes erreichen, als daß ich der Tyrannei neue Kraft zuführte und so großer Gottlosigkeit nicht nur Fenster, sondern auch Türen öffnete, daß sie weiter und freier um sich griffe, als sie bisher jemals gewagt hätte. Und es geschähe durch das Zeugnis dieses meines Widerrufs, daß das Reich ihrer zucht- und zügellosen Leichtfertigkeit dem elenden Volk auf das unerträglichste und doch unumstößlich aufgerichtet würde [ . . . ]

Die dritte Art meiner Bücher habe ich gegen einige private und – wie man sagt – besondere Personen geschrieben. Das sind solche, die auch die römische Tyrannei zu verteidigen sowie die von mir gelehrte Frömmigkeit zu erschüttern trachteten. Ich bekenne, gegen diese schärfer als mit der Religion oder mit meinem Beruf vertretbar gewesen zu sein: Doch will ich mich nicht zu einem Heiligen machen; ich streite auch nicht über mein Leben, sondern über die Lehre Christi. Und so habe ich nicht freie Hand, diese Schriften zu widerrufen, weil auch durch diesen Widerruf es wiederum so sein würde, daß Tyrannei und Gottlosigkeit unter meinem Schutz gegen das Volk Gottes regierten und wüteten, und zwar heftiger als sie je geherrscht haben.

Weil ich jedoch ein Mensch bin und nicht Gott, so kann ich meinen Büchern keinen anderen Schutz geben als mein Herr Jesus Christus selbst seiner Lehre gab, der vor Hannas über seine Lehre befragt und von einem Diener geohrfeigt sagte: »Wenn ich übel geredet habe, so beweise, daß es böse sei.« Wenn der Herr selbst, der wußte, daß er sich nicht irren konnte, es doch nicht verweigerte, ein Zeugnis gegen seine Lehre zu hören, und sei es auch von dem geringsten Knecht, wieviel mehr muß ich Abschaum, der ich durchaus irrtumsfähig bin, bitten und warten, ob nicht jemand Zeugnis geben will gegen meine Lehre! Deshalb bitte ich durch Gottes Gnade Eure heilige Majestät, hochberühmte Herrschaften oder sonst jedermann, er sei in höchster oder niedrigster Position, der es vermag. Zeugnis zu geben, mich der Irrtümer zu überführen und zu überwinden mit prophetischen und evangelischen Schriften: Ich werde nämlich ganz und gar bereit sein, wenn ich belehrt werde, jeden Irrtum zu widerrufen, und ich werde dann der erste sein, der meine Bücher ins Feuer wirft.

Aus diesem, so meine ich, geht deutlich hervor, daß ich die Auseinandersetzungen und Gefahren oder wissenschaftlichen Streitigkeiten, die aus Anlaß meiner Lehre in der Welt entstanden sind und derentwegen ich gestern schwer und heftig gemahnt worden bin, ausreichend berücksichtigt und erwogen habe. Mir ist es sogar in den Dingen die angenehmste Erscheinung von allen zu sehen, daß wegen des Wortes Gottes Eifer und Streit entstehen. Dieses ist nämlich der Lauf, die Ereignung und Wirkung des Gotteswortes, wie Christus sagt: »Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert: Denn ich bin gekommen, einen Menschen gegen seinen Vater zu erregen usw.« Darum sollen wir dessen eingedenk sein, daß unser Gott wunderbar und furchtbar in seinem Rat ist, damit wir nicht gerade danach streben, Streitigkeiten zur Ruhe zu bringen, wenn wir das unter Verdammung des Wortes Gottes anfangen. Dadurch könnte sich eher eine Flut unerträglicher Übel [über uns] ergießen, und es wäre zu befürchten, daß die Regentschaft dieses jungen, herrlichen Fürsten Karl – auf dem nächst Gott viel Hoffnung steht – einen unglücklichen Anfang nimmt. [ . . . ] Und so empfehle ich mich Eurer heiligen Majestät und Euren Herrschaften mit der demütigen Bitte, es nicht zu dulden, daß ich wegen des Eiferns meiner Feinde ohne Grund in Ungnade komme. [ . . . ]

Nachdem dies gesagt worden war, erklärte der Sprecher des Reichstags in ziemlich tadelndem Ton, daß ich nicht zur Sache geantwortet hätte. Auch gezieme es sich nicht, das zu erörtern, was einst auf Konzilien schon verdammt und abgeschlossen definiert worden sei: Deshalb werde von mir gefordert, einfach, ohne Umschweife zu antworten, ob ich widerrufen wolle oder nicht.

Darauf ich.

Da also Eure heilige Majestät und Eure Herrschaften eine einfache Antwort fordern, werde ich diese geben ohne Hörner und Zähne, auf folgende Weise: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Heiligen Schrift oder klare Vernunftgründe überwunden werde – denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, weil es feststeht, daß sie des öfteren geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so bin ich überwunden durch die Schrift, die von mir angeführt worden ist. Mein Gewissen ist im Wort Gottes gefangen. Und ich kann und will auch nichts widerrufen, da gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch einwandfrei ist.

Ich kann nicht anderst, hie stehe ich. Gott helf mir! Amen.

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