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Reichstagsdebatte über die Besetzung des Ruhrgebiets (17. Januar 1923)


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289. Sitzung
Mittwoch den 17. Januar 1923.


[ . . . ]

Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.

Aus Salzburg ist uns folgendes Telegramm zugegangen:

Den Salzburger Landtag erfüllt die neuerliche wider alles Recht erfolgte Vergewaltigung Deutschlands durch die unter nichtigen und heuchlerischen Vorwänden veranlaßte französische Besetzung des Ruhrgebietes mit tiefer Trauer, aufrichtiger brüderlicher Teilnahme und banger Sorge um die Zukunft. Möge diese Not das deutsche Volk einmütig zusammenführen zur Überwindung dieser schweren Zeit und demselben den Weg zur Freiheit weisen!

(Lebhafter allseitiger Beifall.)

Breitenfelder, Landtagspräsident.

(Erneuter Beifall.)

Wir danken dem Salzburger Landtag für die Bekundung seiner Solidarität in unserer schweren Lage.

Inzwischen ist, meine Damen und Herren, auch nach den eingetroffenen amtlichen Nachrichten kein Zweifel mehr daran möglich, daß die militärische Unterjochung des Ruhrbeckens das erste Menschenleben gefordert

(das Haus erhebt sich)

und schwere Verwundungen weiterer Landsleute herbeigeführt hat. Der Grund für den Mord an dem Sohn des Lokomotivführers in Bochum ist das Singen von Liedern, das die Eroberer als gegen sich gerichtet betrachtet haben.

(Bewegung und Pfui-Rufe.)

Diese Tatsache genügte, um die fremden Soldaten zu veranlassen, in die Menschenmenge hineinzuschießen

(Unruhe)

und ihre Hände mit dem Blute des Unschuldigen zu beflecken. Das aber kommt auf das Haupt der Männer in Paris,

(Zustimmung und bravo!)

die diese militärische Aktion gegen das unbewaffnete und wehrlose Volk begonnen haben.

(Zustimmung rechts, in der Mitte und bei den Vereinigten Sozialdemokraten. — Zuruf von den Kommunisten: Und der alldeutschen Hetzer! — Unruhe.)

Ich wiederhole blutenden Herzens meine Mahnungen an die Landsleute im Ruhrrevier. Wir wiederholen aber auch unsere Warnung an die Gewalthaber, die sehen müssen, daß, wenn sie hier nicht Halt gebieten, sie einem furchtbaren Ende entgegentreiben, die sehen müssen, daß die täglich erweiterte Besetzung die Reparationen nicht größer macht, aber Haß und Erbitterung ins Riesengroße treibt.

(Lebhafte Zustimmung.)

Im Zusammenhange damit habe ich um die Ermächtigung zu bitten, auf die Tagesordnung, und zwar als vierten Punkt, einen Initiativantrag der Parteien zu setzen, der etwa in einer halben Stunde verteilt werden wird, den ich aber jetzt schon zur Kenntnis bringen möchte:

Ermächtigungsgesetz.

Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird:

§ 1.

Die Reichsregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Reichsrats diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, die sich zur Abwendung der aus der wirtschaftlichen und sozialen Not für die Allgemeinheit drohenden Gefahren als notwendig erweisen.

§ 2.

Die Verordnungen der Reichsregierung sind dem Reichstag unverzüglich zur Kenntnis zu bringen und auf sein Verlangen außer Kraft zu setzen.

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Quelle: Verhandlungen des Reichstags. I. Wahlperiode 1920. Band 357. 289 Sitzung, 17. Januar 1923, Stenographische Berichte. Berlin: Druck und Verlag der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlags-Anstalt 1923, S. 9454.

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