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Reichstagsdebatte über die Londoner Forderungen (4. März 1921)


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75. Sitzung.
Freitag den 4. März 1921.


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Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.

Das Protokoll der vorigen Sitzung liegt auf dem Bureau zur Einsicht offen.

Meine Damen und Herren! Vor Eintritt in die Tagesordnung nehme ich Anlaß, Ihnen folgende Mitteilung zu machen. Ich habe in der Angelegenheit, die uns zurzeit alle aufs tiefste berührt, nämlich in der Frage der Londoner Verhandlungen mich an die Reichsregierung mit der Frage gewandt, ob sie bereits jetzt in der Lage sei, dem Reichstag Mitteilungen über den Stand der Angelegenheit zu machen. Die Reichsregierung hat diese Frage verneint, da die ihr seitens der Londoner Delegation zugegangenen Informationen noch nicht vollständig seien und der Text der Ausführungen des englischen Premierministers noch geprüft werde. Ich füge hinzu, daß ich mich in ständiger und engster Fühlung mit dem Kabinett halte und daß ich nach den soeben eingegangen Informationen in kurzer Zeit in der Lage sein werde, Ihnen den amtlichen Wortlaut der entscheidenden Sätze der Rede des englischen Ministerpräsidenten mitzuteilen.

Zunächst treten wir in die Erledigung unserer Geschäfte ein.

(Abgeordneter Ledebour: Zur Geschäftsordnung!)

Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Ledebour.

Ledebour, Abgeordneter: Ich bedauere, dem Herrn Präsidenten widersprechen zu müssen. Nach unserer Auffassung ist es durchaus notwendig, daß der Reichstag sofort in die Verhandlung über die Londoner Forderungen eintritt. Wir können nicht abwarten, bis der Wortlaut der sämtlichen Londoner Kundgebungen vorliegt und bis die Regierung in der Lage gewesen ist, das alles zu prüfen. Die Tatsachen, die dem Reichstag als solchem Anlaß geben könnten, seine Meinung zu der Frage auszusprechen, liegen bereits vor.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Auch die Rede des englischen Premierministers Lloyd George liegt im englischen Texte vor; wir halten es aber nach alledem, was wir bisher erfahren haben, ohne daß ich bei dieser Gelegenheit eine Kritik an dem Verhalten und den Meinungsäußerungen der Regierung üben möchte, doch für notwendig, daß so bald wie möglich die Ansichten der verschiedenen Parteien dieses Hauses kundgetan werden, da wir uns davon eine viel größere Wirkung versprechen als von den Äußerungen der Regierungsvertreter, wenn diese allein erfolgen. Am Montag läuft die Frist für die Entscheidung ab. Diese Zeit ist so kurz bemessen, daß, wenn gewartet wird, bis die Regierung beraten und die Regierungsvertreter im Reichstag geredet haben, jede Meinungsäußerung aus dem Hause zu spät kommt.

(Sehr richtig! auf der äußersten Linken.)

Vor allen Dingen haben wir aber auch darauf hinzuwirken, daß der Verhandlungsfaden nicht abreißt. Ich habe es bei den ersten Verhandlungen dieser Frage als sehr bedenklich gekennzeichnet, wenn von irgendeiner Seite die Gegenvorschläge für nicht diskutierbar erklärt werden. Es darf eine solche Erklärung nicht wieder von unserer Seite kommen, durch die der Gegenseite der Vorwand geliefert wird, ein noch drakonischeres Verfahren einzuschlagen, als jetzt ihre an sich von uns entschieden zu mißbilligende Kundgebung bereits erwarten läßt.

Aus allen diesen Gründen, meine Herren, liegt es im Interesse der Wohlfahrt des gesamten deutschen Volkes, insbesondere der Arbeiterschaft, die jetzt vor einer sehr schweren Entscheidung steht, zwar sofort in die Verhandlungen einzutreten und demgemäß auf die Tagesordnung die Aussprache der heutigen Sitzung über die Ententeforderungen und die Gegenvorschläge der deutschen Regierung zu setzen.

(Beifall auf der äußersten Linken.)

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