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Verteidigung des Frauenklosters – Caritas Pirckheimer in Nürnberg (1524)

Die protestantischen Reformer verurteilten das Zölibat und befürworteten stattdessen die Ehe. Für Luther und seine Anhänger lag das Problem des Zölibats nicht in dessen Missbrauch – wie die meisten früheren Reformatoren argumentiert hatten – sondern im Zölibat selbst. Schließlich hatte Gott die Ehe zur Bevölkerung der Erde sowie zur Eindämmung der Lust eingerichtet. Dort wo die Protestanten politisch die Oberhand gewannen, versuchten sie gewöhnlich, die religiösen Gemeinschaften abzuschaffen – was besonders in den weiblichen Gemeinschaften auf starken Widerstand stieß.

Diese „Memoiren“ (tatsächlich eher eine Apologie) von Caritas Pirckheimer (1467-1532), der Äbtissin des Klarissenklosters in Nürnberg, beschreiben den bekanntesten Fall des Widerstandes einer Gemeinschaft von Nonnen gegen deren Auflösung.

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1. Das Schicksalsjahr 1524 (Kap. 1—4)

Prophezeiungen von Unglück für das Jahr 1524 – Veränderungen durch die Lehre Luthers – Anfeindungen der Klöster – Austritte von Ordensleuten – Angriffe gegen die Franziskaner als Beichtväter der Klarissen – Beschluß einer Bittschrift an den Rat

Zu wißen, das (1) etwan lange zeit pronosticirt (2) ist worden auf dy zeit, wen man zellen wirt anno domini 1524 sollt ein große sindfluß kumen, durch dy alles, das auf erden ist, verandert und verkert soll werden und wywoll solchs gemeynglich auf ein waßersindfluß verstanden ist worden, hat es sich doch in der erfarung erfunden, das daz gestyrn nit als gar waßer angezaigt hat als vill trubsal, angst und not und nachvolgent groß plutvergyßen; dann in dem vorgemelten (3) jar hat es sich begeben, das durch dy newen lere der luterey gar vil ding verandert sind worden und vil zwyspaltung in dem cristlichen gelawben sich erhebt haben, auch dy ceremonia der kirchen vil abgethun sind worden und nemlich der standt der geistlichen an vil ortten schyr gancz zu grunt gangen, dann man prediget dy cristlichen freyheit, das dy gesacz der kirchen und auch die gelub der geistlichen nichs gelten sollten und nymant schuldig wer sy zu hallten.

Auß demselben entsprang, das vill nunnen und munch, dy sych solcher freyheit geprauchten, auß den clostern luffen, ir orden und habit hynwurffen, etlich sich verheyraten und theten, was sy wolten. Auß solchen ursachen komen uns vil widerwertigkeit und anfechtung, dann vill leut unter den gewaltigen und schlechten (4) komen uber tag zu irn freuntyn (5), dy sy pey uns im closter hetten, den predigten und sagten sy von der newen lere und disputirten unaufhorlich, wy der closterstandt so verdemlich und verfurisch wer und wy nit muglich wer, das man darinnen sellig kundt werden, dann wir wern all des teuffels. Darumb wolten etlich ire kind, swester und mumen mit gewalt auß dem closter haben mit vill trowortten und auch mit großem verhayssen, des sy on zweiffel kaum halbs gelast (6) hetten.

Diß fechten und streytten weret lange zeit, offt mit großem zorn und schentwortten (7). Da aber von den genaden gottes sich keyn swester bewegen wolt loßen, do gab man den munchen zu den parfussern (8) dy schuld und saget iderman, dyselben verwißen uns also, das nit muglich wer, das man uns zu dem newen gelauben bekeret, dyweyl wir sy zu predigern und peichtvettern hetten.

Do wir nun vernamen, das in einem erbern rat beschlossen was worden, das man uns dy veter mit gewalt wolt nemen, do heyelt ich solchs dem convent fur, het irn rot (9), do betrachten dy swester, was in daran gelegen wer, solt das closter auß dem ordenlichen regiment der vetter kumen und unter den gewalt der wilden pfaffen und ausgeloffen munch; zu demselben wolt sich keyn swester begeben und stympten all mit gemeyn ein rot, man solt nit haren (10), piß man uns dy veter mit gewalt nem, dann es wer alsdann nit woll widerzupringen, wen wir schun vill clagten. Wir sollten vorhyn supplicirn (11) und einen erbern rot genugsam anzaigen, was beschwert und schaden uns zeitlich und geistlich auf solcher verenderung stund in ganczer hofnung, sy wurden in (12) solch unßer scheden zu herczen loßen gen.

Also volgt ich in, stelt dy supplicacion, dy hernoch auch geschriben stet, dy ich dem convent vorlaß, darein aber all swester, keine außgenumen, vergunstigeten und ryetten mir darpey, das ich neben der supplicacion dem pfleger, herr Jheronimo Ebner, auch h[errn] Merthein (13) Gewder auch schrib, auf das dy supplicacion dester mer furgangs het. [ . . . ]



1) daß
2) vorausgesagt
3) vorerwähnter
4) schlichten, einfachen
5) Verwandten
6) (ein)gelöst
7) Schimpfworten
8) Barfüßer, Franziskaner
9) Rat
10) harren, warten
11) eine Bittschrift einbringen
12) sich
13) Martin Geuder

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