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Walter Gropius, „Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar” (1919)

Walter Gropius (1883-1969), einer der bekanntesten Architekten der Moderne, war Gründer und erster Direktor des Bauhauses. Ziel des 1919 in Weimar gegründeten Bauhauses war es, Architekten und Handwerker für den gesamten Schaffensprozess von Gebäuden und Gebrauchsgegenständen, vom Entwurf bis zur Fertigstellung, auszubilden, wobei starke Betonung auf funktionales Design und schnörkellose Ästhetik gelegt wurde. Die Schule wurde zum Anziehungspunkt für darstellende Künstler wie Paul Klee und Wassily Kandinsky; Architekten wie Marcel Breuer und Mies van der Rohe (der 1930 Direktor des Bauhauses wurde); sowie weibliche Mitglieder (was derzeit als ungewöhnlich galt) wie die Textilkünstlerinnen Gunta Stölzl und Anni Albers. Im folgenden Text legt Gropius die Ziele der Institution fest und beschreibt die besondere Struktur der Werkstätten, um diese zu verwirklichen.

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Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewußtes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander. Architekten, Maler und Bildhauer müssen die vielgliedrige Gestalt des Baues in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen wieder kennen und begreifen lernen, dann werden sich von selbst ihre Werke wieder mit architektonischem Geiste füllen, den sie in der Salonkunst verloren.

Die alten Kunstschulen vermochten diese Einheit nicht zu erzeugen, wie sollten sie auch, da Kunst nicht lehrbar ist. Sie müssen wieder in der Werkstatt aufgehen. Diese nur zeichnende und malende Welt der Musterzeichner und Kunstgewerbler muß endlich wieder eine bauende werden. Wenn der junge Mensch, der Liebe zur bildnerischen Tätigkeit in sich verspürt, wieder wie einst seine Bahn damit beginnt, ein Handwerk zu erlernen, so bleibt der unproduktive "Künstler" künftig nicht mehr zu unvollkommener Kunstübung verdammt, denn seine Fertigkeit bleibt nun dem Handwerk erhalten, wo er Vortreffliches zu leisten vermag.

Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine "Kunst von Beruf". Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels läßt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewußt Kunst aus dem Werk seiner Hand erblühen, die Grundlage des Werkmäßigen aber ist unerläßlich für jeden Künstler. Dort ist der Urquell des schöpferischen Gestaltens.

Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte! Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.

WALTER GROPIUS


Quelle: Walter Gropius, Programm des Staatlichen Bauhauses in Weimar, Flugblatt, April 1919. Abgedruckt in: Hans Maria Wingler, Das Bauhaus 1919-1933. Weimar, Dessau, Berlin und die Nachfolge in Chicago seit 1937, Köln: Dumont, 5. Aufl. 2005, S. 39.

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