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„People’s Car auf neuen Wegen” (29. Januar 1948)

Ab 1938 wurde von den Nationalsozialisten bei Wolfsburg eine große Automobilfabrik gebaut, die einen preiswerten „Volkswagen“ für die Masse der Bevölkerung herstellen sollte. Nach der Fertigstellung wurde das Werk aber auf die Produktion von Rüstungsgütern umgestellt. Bei Kriegsende übernahm die britische Militärregierung die Verwaltung und begann 1946 mit der Produktion des „VW-Käfers“ für den eigenen Bedarf. Der Zeit-Redakteur Josef Müller-Marein (der unter dem Namen „Jan Molitor“ schrieb) veröffentlichte diesen Bericht anläßlich der Fertigstellung des zwanzigtausendsten Volkswagens im Januar 1948. Er beleuchtete vor allem die distanzierte Haltung der Arbeiter zu der wechselvollen Geschichte ihrer Fabrik und zu ihren gegenwärtigen Aufgaben.

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„People’s Car“ auf neuen Wegen


Jubiläumsbesuch? Freilich, der zwanzigtausendste Volkswagen seit Kriegsende war fällig. Grund genug, dem Ereignis ein Ansehen zu geben! Der Zwanzigtausendste war demzufolge kohlrabenschwarz auf Hochglanz poliert. Dies ließ den kleinen Wagen viel stattlicher erscheinen als seine Artgenossen, die graugrünlich uniformt vor ihm und hinter ihm auf dem »laufenden Bande« am Ende der riesigen Montagehalle standen. Es ist also gebührlich, seine Entstehung kurz zu schildern.

Das »Fließband« tut seine Schuldigkeit: es fließt. Dort, wo es an der Rückwand der Halle beginnt, legt man den Stahlrahmen auf das Band: der schwimmt nun im Schneckentempo davon. »Kam ein Bach geschwommen, hat mich mitgenommen«, könnte der Rahmen sagen. Doch es wäre leere Wortspielerei, dieses Bild aus dem Märchentext etwa auszuspinnen und sich womöglich dazu hinreißen zu lassen, die Männer, die rechts und links stehen, mit Anglern am Ufer zu vergleichen. Es sind die Werkleute, gebückte, gehetzte, hungrige Arbeiter. Sie haben Schraubenschlüssel und Hämmer in den Händen und geben dem Stahlrahmen Räder. Und das Fließband fließt.

Jetzt wird der Motor montiert. (Die Motoren – aufgehängt wie Schinken zu Friedenszeiten in der Metzgerei – kommen in Manneshöhe angeschwankt, gefesselt an ein fließendes Rinnsal, das in den Fließ Bach mündet.) Bald hat sich auch der Moment genähert, die Karosserie – die glänzend polierte – überzustülpen. Bündelweise werden Leitungen gezogen. Und das Fließband fließt. Selbst für Laienaugen wäre das Jubiläumskind jetzt schon als Auto erkenntlich. Sein Motor im Innern schnauft kurz und beginnt sich im Leerlauf zu drehen.

Und hört nur: jetzt kann’s polierte Kindl auch schon hupen – der erste Schrei! Aber die riesige Halle ist keine stimmungsvolle Wochenstube. Es sind alles Zangen-, Hammer- und Schrauben-Geburten. Und es herrscht so viel Lärm, daß man kaum die Stimme des Mannes versteht, der am Ende des »Laufenden Bandes«, just in dem Moment, da der Schwarzlackierte seine ersten Schritte tun soll, eine Jubiläumsrede hält. Übrigens ist dort, wo das Fließband mündet, auch eine Ehrenpforte angebracht mit der Inschrift, daß dies der Zwanzigtausendste sei. Heil ihm!

Nun ja, was soll der Mann zu Füßen der Pforte – was soll er schon reden? Das Übliche, natürlich, das Übliche. Aber wie er an die Stelle kommt, wo er allen dankt, die »dieses große Werk ermöglicht haben« (so ungefähr drückte er sich aus), da sieht man, wie die Werkleute einander zublinzeln und mit den Ellenbogen anstoßen. Das kommt, weil es gar nicht einfach ist, im Volkswagenwerk bei Fallersleben, wo einst ungezählte hohle Phrasen erklangen, eine Rede zu halten! Wer dieses Werk ermöglicht hat? Da denkt man unwillkürlich, daß dies derselbe ist, der die Trümmer in allen Städten ermöglichte. (Auch das Volkswagenwerk, so vortrefflich erhalten seine kilometerlange Fassade längs des Mittellandkanals aussieht, ist im Innern etwa zur Hälfte zerstört.) Oder war mit dem Ausdruck »Werk« bloß dieses schwarzlackierte Auto und seine grün-grauen Vorgänger gemeint? Diese hätte dann die Besatzungsbehörde ermöglicht, die schließlich auch diese ganze Produktion bis auf wenige Ausnahmen für sich vereinnahmt hat. Aber Dank?

Ach, viel Jubiläumsstimmung war es nicht, die man hier spüren konnte. Einige Arbeiter – obwohl darauf aufmerksam gemacht, daß sich gleich etwas ereignen würde – machten keinen Schritt auf die Ehrenpforte zu. Sie sagten: »Keinen Schritt! Da ist kein Blumentopf zu gewinnen, und nach Festtagsbraten riecht’s auch nicht gerade!« Sie benutzten die kurze, festlich gemeinte Arbeitspause dazu, die Arme ein wenig zu verschränken. Und da sie nicht lauschten, hörten sie auch nicht, wie der Festredner sagte: Bisher seien die Arbeitskollegen im Volkswagenwerk ruhig gewesen und hätten ihre Pflicht getan, aber bei dieser Ernährungslage stünde es nicht dafür, daß sie noch lange ruhig blieben und still weiterarbeiteten wie zuvor ... Dann rollte der Jubiläumswagen mit der Zahl »20 000« auf dem Nummernschild vom Fließband. Der Menschenknäuel an der Ehrenpforte löste sich auf. Die Maschinen kreischten, hämmerten, fauchten – wild entschlossen, die nächsten 20 000 Volkswagen in Angriff zu nehmen. Keine Trompete hatte geschmettert, kein Tusch war ertönt.

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