GHDI logo


Zeitungskommentar „Hier irrt Clay” (5. Oktober 1948)

Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone Lucius D. Clay weist im Herbst 1948 die deutschen Beschwerden über die Belastung durch die „Displaced Persons“ mit dem Hinweis zurück, diese Menschen seien schließlich von den Deutschen ins Land gebracht worden. Der Kommentator der in München erscheinenden Süddeutschen Zeitung widerspricht Clay und behauptet, ein großer Teil der Flüchtlinge sei erst nach Kriegsende nach Deutschland gekommen. Er sucht die Verantwortung für die Flüchtlingsströme nicht bei den Deutschen, sondern gibt die Schuld den politischen Verhältnissen in den inzwischen unter kommunistischer Herrschaft stehenden Heimatländern und der Politik der Alliierten.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 1


Hier irrt Clay


Die Kosten für die „Displaced Persons“, so beantwortete General Clay kürzlich eine deutsche Beschwerde, zählten nicht zu den Besatzungskosten, „weil die Deutschen diese Menschen nach Deutschland gebracht“ hätten und „nun auch für sie sorgen“ müßten. Schon historisch dürfte seine These einigermaßen anfechtbar sein. Wir wissen nicht, ob es eine zuverlässige Statistik gibt, die uns belehren könnte, wieviel DPs, die sich heute bei uns aufhalten, von Hitler „nach Deutschland gebracht“ wurden. Wir wissen jedoch, daß die Zahl derer beträchtlich ist, die keineswegs auf diese Weise den Weg hierher fanden. Soweit diese Kategorie unter Zwang gekommen ist, ging er jedenfalls nicht von den früheren deutschen Machthabern, sondern von den heute kommunistischen Regierungen der entsprechenden Heimatländer aus. Zudem erstreckte er sich – im Gegensatz zu den deutschen Flüchtlingen aus Ost- und Südosteuropa –, ausschließlich darauf, daß sie ihre Heimat verlassen, aber nicht auch darauf, daß sie gerade nach Deutschland gehen mußten. Die Gründe für die Wahl gerade dieses Wanderungszieles liegen offensichtlich außerhalb unseres Einflusses.

Anders verhält es sich bei jener Kategorie, die tatsächlich von Hitler zwangsweise hierher gebracht wurde. Ihr gegenüber fühlen wir uns in der Tat verantwortlich, da das barbarische System ihrer Verschleppung in unserem Namen praktiziert wurde. Anderseits aber haben wir kaum den Umstand zu vertreten, daß diese DPs heute nicht in ihre Heimat zurück wollen oder können. Wir verkennen nicht die tiefe Tragik ihrer Situation, nur kann man uns nicht dafür haftbar machen, daß das politische System ihrer Heimatländer ihnen die Rückkehr nicht ratsam erscheinen läßt, was aber die Erklärung Clays offenbar doch als Behauptung einschließt. Wenn man schon die Schuldfrage untersuchen will, würde man als nächste Ursache zweifellos auf die Abmachung der Konferenz von Jalta stoßen, an der Deutsche nicht beteiligt waren. Gewiß könnte man einwenden, daß auch Jalta und also auch seine Folgen sich aus dem von Hitler angezettelten Krieg ergeben hätten. Wenn man sich indessen auf einen historischen Regreß versteift, müßte man wiederum auch jene Ursachen heranziehen, die Hitler bedingt haben und keineswegs ausschließlich zu unseren Lasten gehen. Und da die Geschichte überhaupt nur als eine „Kettenreaktion“ zu verstehen ist, würde man schließlich den paradiesischen Sündenfall als die eigentlich auslösende Pauschal-Ursache der Menschheits-Misere erkennen. Ein solcher Aspekt mag seinen theologischen Sinn haben, aber man wird zugeben müssen, daß er uns praktischen Lösungen, wie sie auch das DP-Problem erfordert, nicht näherbringt.



Quelle: „Hier irrt Clay“, Süddeutsche Zeitung vom 5. Oktober 1948.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite