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Bewohner des Stadtteils Kabel in Hagen an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Bitte um Räumung der für „Displaced Persons” beschlagnahmten Wohnungen (2. Januar 1947)

Die Bewohner des Stadtteils Kabel in Hagen wenden sich Anfang 1947 an die nordrhein-westfälische Landesregierung und fordern, die zugunsten ausländischer Flüchtlinge beschlagnahmten Wohnungen und Gärten zurückzugeben. In scharfen Worten wird die Rechtlosigkeit der deutschen Bevölkerung angeprangert, die Kriminalität, Plünderungen und Zerstörungen wehrlos ausgeliefert sei. Die bestehenden Lager müßten aufgelöst und deren Insassen entweder in ihre Heimatländer transportiert oder in das deutsche Arbeitsleben integriert werden.

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Bewohner des Stadtteils Kabel in Hagen an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Bitte um Räumung der für „Displaced Persons“ beschlagnahmten Wohnungen

Hagen, 2. Januar 1947


Die in den Anhängen unterzeichneten zwangsweise evakuierten Bewohner aus dem Stadtteil Kabel unterbreiten der Regierung die dringende Bitte, für eine baldige Räumung der beschlagnahmten Wohnungen und Freigabe ihrer Gärten bei der Militärregierung einzutreten.

Am 3. Mai 1945 mussten die Einwohner des Stadtteiles Kabel (ausser einem kleinen Randgebiet) auf Anordnung der Stadtverwaltung Hagen ihre Wohnungen zu Gunsten von Fremdarbeitern räumen. Der Räumungsbefehl wurde am 2.5.1945 abends – angeblich auf Anordnung der Besatzungsmacht – durch öffentlichen Anschlag bekanntgegeben. Damals hiess es, dass die Räumung nur kurzfristig sein würde. Inzwischen sind fast zwei Jahre vergangen. Niemand hat sich seinerzeit darum gekümmert, wo die deutsche Bevölkerung in der zerbombten Stadt unterkommen sollte. Im Vertrauen darauf, dass die Räumung nur kurzfristig sein würde, haben sich viele der ausgewiesenen Familien mit der primitivsten Unterkunft begnügt. In Fabrikräumen, Baracken oder Bodenzimmern hausen diese Unglücklichen noch heute, vielfach unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Die zurückgelassenen Wohnungseinrichtungen und das sonstige Eigentum hat man längst aufgegeben.

Die Erfahrungen, die man inzwischen mit den einquartierten Fremdländern machen musste, lassen eine Hoffnung, einen nennenswerten Teil des zurückgelassenen Eigentums zurückzuerlangen, nicht aufkommen. Auf die Raubüberfälle, Bandendiebstähle, Ausplünderung ganzer Felder und die sonstigen Drangsalierungen, die mit Einrichtung des Lagers einsetzten, soll nicht näher eingegangen werden. Es wäre hierzu noch manches bittere Wort zu sagen, aber diese Dinge sind wohl nach Ansicht der bestimmenden Kräfte in Deutschland belanglos, weil es sich ja doch nur um Deutsche handelt, die durch das Gewährenlassen zu Schaden kommen. Anscheinend handelt man hier nach dem Grundsatz, der hier oder da bei ungezogenen Lieblingskindern angewandt wird: „Du darfst alles, aber lasse Dich nicht erwischen, denn sonst muss ich Dich bestrafen.”

Heute, fast zwei Jahre nachdem die Waffen ruhen, hausen die Polen immer noch in den Wohnungen der ausgewiesenen Deutschen. Die Polen zahlen keine Miete, Einschränkungen im Strom- und Gasverbrauch haben für sie keine Gültigkeit. Darüber hinaus gibt es im Stadtteil Kabel längst keinen Zaun, keinen Stall und keinen Schuppen mehr. Alles Holz ist längst in den Ofen gewandert. Das zurückgelassene Eigentum ist verschleppt oder auf dem schwarzen Markt verkauft. [ . . . .]

Wenn es den westlichen Demokratien wirklich Ernst ist mit ihren Versprechungen, dem deutschen Volke eine Möglichkeit zur wirtschaftlichen Gesundung zu geben, und wenn man gewillt ist, dem Leben der Deutschen wieder einen Inhalt zu geben, der das Leben überhaupt wieder lebenswert machen kann, dann kann man die rechtliche Seite nicht ausser acht lassen.

Neben einer ausreichenden Ernährung und Kleidung muss auch dem Deutschen wieder das primitivste Recht des persönlichen Eigentums zuerkannt werden. Dann kann man auch an der Auflösung der Fremdarbeiterläger nicht vorbeikommen. Denn die Läger sind und bleiben ein Faktor der Unsicherheit und Rechtlosigkeit den Deutschen gegenüber. Sie sind ein Krebsgeschwür, das jeder rechtlichen, moralischen und wirtschaftlichen Planung auch in Zukunft gefährlich wird. Wenn die Polen nicht in ihre Heimat zurück wollen und die Verbündeten nicht bereit sind, diese Fremdländer aufzunehmen, dann bleibt nur übrig, sie mit den gleichen Rechten, aber auch mit den gleichen Pflichten in den deutschen Arbeitsprozess einzugliedern. Aber für eine Vorzugsstellung gegenüber dem deutschen Arbeiter ist dann keine Begründung mehr. Für die Unterbringung dieser, aus eigenem Interesse staatenlosen Menschen, müsste der Arbeitgeber verpflichtet werden.

Namens der gesamten Einwohnerschaft von Kabel und auch im Namen der näheren und weiteren Umgebung von Kabel bitten die Unterzeichneten die Regierung Nordrhein-Westfalen bei den massgebenden Stellen mit allen gesetzlichen Mitteln dahin zu wirken, dass das Polenlager Kabel bis zum Beginn der Frühjahrsbestellung aufgelöst wird. Darüber hinaus müsste das Bestreben dahin gehen, alle Fremdarbeiterläger baldmöglichst zu liquidieren und die Insassen soweit als irgend möglich in ihre Heimatländer zurückzubefördern. Die Läger belasten das deutsche Wirtschaftsleben trotz der UNRRA-Hilfe schwer, und sie sind eine schwere Belastung für das Vertrauen des deutschen Volkes zu den demokratischen Mächten.



Quelle: BArch, Z 40/468, Abschrift (Auszug); abgedruckt in Udo Wengst und Hans Günther Hockerts, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945-1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, S. 248-49.

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