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Ursachen der Abwanderung: Bericht einer Brigade der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen (24. Mai 1961)

Zu Beginn der 1960er Jahre hält die Fluchtbewegung aus der DDR nach Westdeutschland unverändert an. Der Bericht der ZK-Abteilung für Sicherheitsfragen betont im Mai 1961, wenige Monate vor dem Bau der Berliner Mauer, vor allem den Einfluss von „Westkontakten“. Der Bericht räumt ein, dass die Lebensverhältnisse in der DDR von wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Bürokratismus und Willkür bei der Erteilung von Reisegenehmigungen mitbestimmt seien. Daneben trügen aber auch Abenteuerlust und persönliche Probleme zur Motivation einer Flucht aus der DDR bei.

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Ziel des Brigadeeinsatzes:

Verbesserung der Arbeit mit der Bevölkerung in Verbindung mit dem Kampf gegen Republikfluchten, insbesondere bei Facharbeitern, Jugendlichen, Ärzten und Lehrern durch die Deutsche Volkspolizei im Bezirk Halle. [ . . . ]

Die Brigade hat als selbständige Arbeitsgruppe in der Gesamtbrigade des Zentralkomitees, die unter der Leitung der Abteilung für Staats- und Rechtsfragen stand, gearbeitet. [ . . . ]

Ursachen, Gründe und begünstigende Faktoren der Republikfluchten und Methoden der Abwerbung

Durch die Brigade und die BDVP Halle wurden eine Reihe Republikfluchten vom Arbeitsplatz bis zum Wohnort gründlich untersucht. Dabei haben sich eine Vielzahl Ursachen, Gründe, begünstigende Faktoren der Republikfluchten und Methoden der Abwerbung gezeigt, die eng zusammenhängen und wirken.

In allen Fällen gab es die verschiedensten Verbindungen und Kontakte mit Verwandten, Bekannten, Republikflüchtigen in Westdeutschland bzw. Einfluß durch Westreisen und -besuche. Bei vielen republikflüchtig gewordenen Personen wirkten sich begünstigend Zweifel, Unklarheiten über die Perspektive der Entwicklung in Deutschland, verbunden mit einem Unglauben an die Richtigkeit der Politik der Partei und Regierung, auf das Verlassen der Republik aus. Nicht zuletzt spielt dabei die verstärkte ideologisch-politische Diversion, die mittelbare und unmittelbare Einflußnahme des Gegners eine wichtige Rolle. In den ersten Monaten des Jahres zeigt sich im Bezirk Halle eine verstärkte Tätigkeit durch Flugblätter, Handzettel, Schmierereien, gelenkte Gerüchte, Hetze und Verleumdungen gegen die Partei und Regierung sowie gegen Funktionäre der Partei und Regierung. [ . . . ]

Es ist eine Tatsache, daß ein großer Teil aller Schichten der Bevölkerung Sendungen des Westfernsehens und Rundfunks sieht und hört, um sich über die Lage zu informieren.

Viele Jugendliche unterhalten direkte und indirekte Verbindungen mit westlichen Rundfunkstationen, Film-, Jazzklubs u. a. Diese Tätigkeit trägt wesentlich mit dazu bei, Schwankungen, Unsicherheit, Unglauben zu verstärken.

Ein Teil der republikflüchtigen Bürger schenkte der Hetze im Zusammenhang mit den Vorschlägen über den Abschluß eines Friedensvertrages zur Lösung der Westberlinfrage Gehör, daß damit »... die Grenzen nach Westdeutschland geschlossen, verwandtschaftliche Bindungen unterbrochen, Spaltung weiter vertieft werden ...« usw.

Im Zusammenhang mit der verstärkten atomaren Aufrüstung der Bundeswehr und Verschärfung der Lage in Deutschland haben eine Reihe Bürger aus Furcht vor Auseinandersetzungen die Republik verlassen und glauben sich in Westdeutschland sicherer zu fühlen.

Die Erfahrungen zeigen, daß jedesmal, wenn vom Gegner Maßnahmen zur Verschärfung der Lage eingeleitet werden, ein Ansteigen der Republikfluchten festzustellen ist.

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