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Das Politbüro des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands: Bericht der Kommission zu Fragen der Republikflucht (25. Juni 1956)

Der detaillierte Bericht der Kommission der SED zur „Republikflucht“ vertritt zwar einerseits die offizielle Linie von Staat und Partei, dass die Abwerbung von ostdeutschen Fachkräften von Westdeutschland aus gezielt betrieben werde, um die DDR zu schwächen. Andererseits wird aber auch eingeräumt, dass der Fluchtbewegung vielfach Ursachen zugrunde liegen, die mit den unbefriedigenden politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der DDR selbst zu tun haben. Der Bericht empfiehlt eine Reihe von Verbesserungen, die aber — wie z.B. verbesserte Freizeitmöglichkeiten oder eine größere Auswahl von Illustrierten — eher kosmetischer Natur sind. Auch die in der DDR selbst erhobenen Zahlen belegen, dass vor allem junge und gut ausgebildete Menschen in den Westen gehen.

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Das Politbüro des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
Bericht der Kommission zu Fragen der Republikflucht

Berlin, 25. Juni 1956



Die Ursachen der Republikflucht

Nach den Unterlagen der HVDVP wurden im Jahre 1955 insgesamt 270.115 Personen republikflüchtig.

Die Republikflucht wird von Bonner Stellen planmäßig organisiert und von ihnen als ein wesentliches Mittel zur Weiterführung des „kalten Krieges“ betrachtet. Man muß davon ausgehen, daß das Kaiserministerium in Verbindung mit den verschiedenen Ost- und Spionagebüros nach einem einheitlichen Plan zur Organisierung der Republikflucht arbeitet und gegenwärtig die „gesamtdeutsche Arbeit“ hauptsächlich unter dem Gesichtswinkel der Schwächung der Deutschen Demokratischen Republik durch den systematischen Abzug bestimmter Berufsgruppen aus der DDR führt. Dabei wird als das Hauptmittel die Ausnutzung der gegenwärtigen Wirtschaftskonjunktur in Westdeutschland betrachtet.

Das unmittelbare Ziel der Organisatoren der Republikflucht besteht in folgendem:

1. Eine Behinderung und Verzögerung der planmäßigen wirtschaftlichen Aufbauarbeit und eine Schwächung der Verteidigungskraft der DDR;

2. Eine Stärkung des wirtschaftlichen und militärischen Potentials Westdeutschlands, wobei die Republikflüchtigen gleichzeitig zur Beeinträchtigung des Kampfes der westdeutschen Arbeiter gegen die Monopole ausgenutzt werden;

3. Eine propagandistische Ausnutzung der Republikflucht zur Steigerung der Hetze gegen die DDR und ihre internationale Diskriminierung.

a) In Durchführung dieses Vorhabens wird die Abwerbung von Arbeitskräften aus der DDR auf breiter Basis mit verschiedenen Mitteln und Methoden durchgeführt. Durch die Westpresse und Hetzsender werden immer wieder der Arbeitskräftebedarf und die angeblich besseren Arbeits- und Lebensbedingungen herausgestellt. Besonders Fachkräfte in einzelnen Berufszweigen werden teils in versteckter, teils in offener Form zur Republikflucht aufgefordert. Hierbei machen bestimmte Konzernbetriebe und Verwaltungen den angesprochenen Bürgern der DDR Versprechungen in Bezug auf Pension, Rentengewährung u.a. Vorteile. Eine wesentliche Rolle bei der Abwerbung spielt auch der von den Bonner Dienststellen versprochene Lastenausgleich.

Die ökonomische Anziehungskraft Westdeutschlands unter den Bedingungen der augenblicklichen Konjunktur begünstigen [sic] die Bestrebungen westdeutscher Abwerbestellen.

Die Zusendung von Hetzblättern und Stellenangeboten an Bürger der DDR, worin neben den üblichen Verleumdungen der DDR die Aufforderung zur Republikflucht enthalten ist, wird von den westdeutschen Stellen in großem Umfang organisiert.

Von Bedeutung ist, daß durch Republikflüchtige an Bekannte und Verwandte in der DDR Briefe gesandt werden mit der Aufforderung, nach Westdeutschland zu kommen.

b) In einer Reihe von Fällen, insbesondere bei der Organisierung der Republikflucht für besonders wichtige Fachkräfte, die auch gleichzeitig für Spionagezwecke benutzt werden, wird die Republikflucht unmittelbar durch Agenten der verschiedensten westdeutschen und westberliner Zentralen und Filialen organisiert.

c) Diese feindliche Tätigkeit wird begünstigt durch eine Reihe von Faktoren, die es dem Gegner leichter machen, seinen Plan zu verwirklichen.

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