GHDI logo


Morgan Philips Price über die Feinde der Republik (5. April 1923)

Morgan Philips Price war Mitglied der britischen Labour Partei und von 1919 bis 1923 Deutschlandkorrespondent des Londoner Daily Herald. Price stellte fest, dass die feindliche Stimmung gegen die Weimarer Republik in Bayern besonders verbreitet war. Im April 1923 reiste er nach München und berichtete über die zunehmende Präsenz sowohl bewaffneter Reichswehrtruppen als auch faschistischer und extrem rechtsgerichteter Gruppierungen auf den Straßen. Die extreme Rechte in Bayern stand der Republik äußerst feindlich gegenüber und machte sie nicht nur für Ruhrkrise und Inflation verantwortlich, sondern auch für den Versailler Vertrag und den vermeintlichen jüdischen Einfluss auf Kultur, Politik und Wirtschaft. Obwohl Hitler zu diesem Zeitpunkt noch eher eine Randfigur war, erkannte Price bereits dessen persönliche Ausstrahlung und potenzielle Anziehungskraft auf die Massen.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 1


München, 5. April

Eiserne Kreuze. Bewaffnete Reichswehrtruppen mit Stahlhelmen, deren Marschieren entfernt an einen Gänsemarsch erinnert. Ein Schwarm junger Hakenkreuzler, die brüllen „Zur Hölle mit den französischen Bestien!“, „Nieder mit den Juden!“, „Deutschland über Alles!“. Leidenschaftliche Plakate an jeder Straßenecke, die das nächste faschistische Treffen ankündigen, bei dem Hitler, der Mussolini-Imitator, über Deutschlands Stunde der Rache sprechen wird. Polizei, Truppen, zivile Weißgardisten [„White Guards“ im Original; Anm. der Übers. ] und noch mehr Polizei. Das sind ein paar beliebige Anblicke, die dem Besucher in München geboten werden. Ich ging gerade durch einen der wunderbaren Stadtparks und hielt vor einem noblen braunen Schloß. „Ist das der Palast des ehemaligen Königs?“, fragte ich einen Passanten. „Das ist die Residenz des zukünftigen Königs“, korrigierte er mich.

In München läßt wenig erkennen, daß Bayern zur Republik gehört. Die Fahnen der alten Monarchie sind häufiger zu sehen als die der Republik. In München Republikaner zu sein heißt unklug, wenn nicht gar töricht zu sein. In der Tat deutet nichts darauf hin, dass außer den bayerischen Arbeitern irgend jemand für den sturen Militarismus bezahlt hat. Der Krieg hat in dem Durcheinander des bayerischen Wirtschaftslebens reichlich Spuren hinterlassen. Aber der fanatische Chauvinismus, der Hass auf die Demokratie und die Marschmusik, zu der die müden Münchner Füße herumschlurfen – das alles lässt darauf schließen, dass Bayern von Männern regiert wird, die seit 1914 nichts gelernt und nichts vergessen haben.

Bayern brodelt vor Hass – Hass auf das protestantische Norddeutschland, auf die Franzosen, die Juden, die Republikaner, die Liberalen und vor allem auf die Sozialisten. Alle sind ein Greuel. Alle haben noch eine Galgenfrist, bis die Stunde der Abrechnung schlägt. Wenigstens sagen das hier alle. Adolf Hitler, ein gebürtiger Österreicher und gelernter Schlosser [sic] hat sich bis an die Spitze der gegenrevolutionären Bewegung in Bayern vorgearbeitet. Als geschickter Demagoge, der Leute zum Faschismus bekehrt, indem er mit dem einfachen Mann ein Bier trinkt, ist er ein routinierter Meister im Aufpeitschen der Volksmassen.

„Wie können wir dem Vaterland helfen?“, hörte ich Hitler sein Publikum fragen. „Ich werde es Ihnen sagen. Indem wir die Kriminellen vom November 1918 aufhängen!“ (Diese Kriminellen sind natürlich die republikanischen deutschen Arbeiter.) „Indem wir die Maulhelden der Republik bestrafen, verdienen wir uns den Respekt der ausländischen Mächte“, brüllte Hitler. „Wenn wir vor zwei Jahren zu den Waffen gegriffen hätten, hätten wir Schlesien niemals verloren und es gäbe kein Problem an der Ruhr.“ An dieser Stelle seiner Tirade paradierte eine Kompanie von Hitlers „Sturmtruppen“ unter der Fahne des monarchistischen Deutschlands über die Bühne. Derartige Szenen spielen sich in München täglich ab.

Die Reaktion in Bayern ist schwierig zu durchschauen. Sie besteht aus zahlreichen Gruppen, die in ihrer Entschlossenheit vereint sind, die Republik zu stürzen und die Arbeiterbewegung zu zertrampeln, sich aber dennoch in der Wahl ihrer Mittel unterscheiden. Der eine Redner schreit am lautesten, wenn er die Franzosen anprangert, der nächste, wenn er die Juden angreift und der dritte, wenn er auf die Reichsverfassung schimpft. Aber alle sind sich öffentlich einig, daß ihre gemeinsame Absicht darin besteht, die organisierte Arbeiterschaft zu bekämpfen.

Drei Gruppierungen dominieren die wachsende bayerische Reaktion. Erstens gibt es die separatistische Bewegung, die von dem Ex-Kronprinzen Rupprecht, dem ehemaligen bayerischen Premierminister von Kahr und dem Abgeordneten der Bayerischen Volkspartei, Dr. Heim, angeführt wird. Kurz zusammengefasst fordert ihr Programm eine größere Autonomie für Bayern innerhalb des Reiches, die Restauration der Wittelsbacher-Dynastie in München, eine Vereinigung mit Österreich (Wien ausgenommen) und eine Stärkung des klerikalen (römisch-katholischen) Einflusses in der Regierung. Zweitens gibt es die von Hitler angeführten Faschisten, für die die katholische Kirche und die Monarchie nur Details am Rande sind und die sich vor allem mit der gewaltsamen Niederschlagung der Arbeiterbewegung, mit der Unterdrückung und Vertreibung der Juden und der Errichtung einer faschistischen Diktatur befassen, die ihre Wurzeln in Bayern hat, sich aber auf ganz Deutschland ausbreiten soll. Drittens gibt es die Ludendorff-Gruppierung, die anti-klerikal und anti-separatistisch ist und sich für eine Wiederbelebung des pangermanischen Militarismus auf die ehemaligen Offiziere und die preußischen Junker stützt. Alle drei Lager bereiten sich eifrig auf den Bürgerkrieg vor, legen Waffen- und Munitionsvorräte an und stellen rechtswidrige Armeen von Weißen Garden auf. Ein gleichmäßiger Geldstrom fließt von den deutschen Industriemagnaten in ihre Kassen. Gut informierte Bürger sagen einen gegenrevolutionären Aufstand in Bayern in wenigen Wochen voraus. Sie sagen auch, dieser wird das Signal für eine „weiße“ Offensive in ganz Deutschland sein.



Quelle: Morgan Philips Price, Dispatches from the Weimar Republic, Versailles and German Fascism. London, Sterling, Virginia: Pluto Press, 1999, S. 155-56.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Katharina Böhmer

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite