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Kurt Eisner, „Der sozialistische Staat und der Künstler” (1919)


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Es gehört zu den deutschen Absonderlichkeiten, daß Politik etwas ganz Besonderes, daß Regieren eigentlich eine juristische Tätigkeit ist. Ich glaube, es war Bismarck, der gemeint hat, daß Regieren eine Kunst wäre, und ich glaube allerdings: Regieren ist genau so eine Kunst, wie Bildermalen oder Streichquartette komponieren. Der Gegenstand dieser politischen Kunst, der Stoff, an dem diese politische Kunst sich bewähren soll, ist die Gesellschaft, der Staat, die Menschen. Deshalb möchte ich glauben, daß ein wirklicher Staatsmann, eine wirkliche Regierung zu niemand ein stärkeres inneres Verhältnis haben sollte, als zu den Künstlern, seinen Berufsgenossen. [ . . . ]

Und nun die Frage, was kann der Staat für die Kunst und was kann er für die Künstler tun? Wenn das Verhältnis von Staat und Kunst so ist, wie ich eben angedeutet habe, so hat der Staat vor allen Dingen die Pflicht — die Regierung des Staates meine ich — selbst der Inbegriff aller Kultur zu sein, die im gegenwärtigen Zeitalter vereinigt ist. Eine Regierung, die selbst in diesem Geiste Inbegriff der Kultur ist, fördert dadurch die Kunst an und für sich. [ . . . ]

Die Kunst kann nur gedeihen in vollkommener Freiheit. Ich habe neulich in einer Versammlung von Künstlern gesagt: Der Künstler muß als Künstler Anarchist sein und als soziales Mitglied, als ein auf die Befriedigung der Lebensnotdurft angewiesener Bürger Sozialist. Der Staat kann dem Künstler nichts anderes raten, als daß er frei und unabhängig seinem innersten Triebe folgt, und das ist die größte Förderung, die der Staat der Kunst angedeihen lassen kann: daß er dem Künstler die vollkommene Freiheit seiner künstlerischen Betätigung gibt. Ihre Sorge und ihre berechtigte Sorge ist, daß der Künstler leben könne, daß er wirtschaftlich zu existieren vermöge. [ . . . ]

Kunst erfordert ein ganzes Leben, große Kunst erfordert sogar Verzicht auf das Leben. Der große Künstler ist besessen, er ist der Märtyrer seiner Kunst. Ich habe gesagt, der bildende Künstler sollte nur in den Feierstunden seiner Inspiration schaffen, er sollte nicht die Kunst zur Ware machen unter dem Zwange wirtschaftlicher Existenznotwendigkeit. Er sollte zum Beispiel nicht die Notwendigkeit haben, sich ewig zu wiederholen, nur um auf den Markt Ware zu werfen. [ . . . ] Deshalb habe ich den Gedanken aufgegriffen, ob gerade der bildende Künstler nicht von seinem eigenen Handwerk ausgehen soll, ob er nicht seine wirtschaftliche Existenz auf sein Handwerk gründen soll — der Bildhauer zum Beispiel als Steinmetzarbeiter — und nur in den Feierstunden seiner Inspiration am Kunstwerke schaffen soll, das er dann nicht in der Hast, um leben zu können, in 24 Wochen machen, sondern an dem er oft jahrelang arbeiten könnte. Ich glaube, daß dieser Gedanke gar nicht utopisch ist, sondern daß er eine Rückkehr zu früheren gesunden Kunstzuständen ist. Der Vorschlag ist ein Versuch der Lösung des Problems, wie der bildende Künstler heute überhaupt leben kann, ohne von der Kunst zu leben. Für die Kunst soll er leben.

Was wir tun können, ist die Kunst zu fördern dadurch, daß der Staat selbst aus Künstlern besteht, daß er Freiheit läßt, und ich sehe auch nicht ein, warum nicht der Staat Künstlern auf den verschiedensten Gebieten durch wirtschaftliche Unterstützung die Freiheit ihrer Betätigung geben soll [ . . . ].

Daß aber der Staat anerkannten Künstlern die Existenzsicherheit geben kann, daß er ihnen genau so Gehalt zahlen kann wie irgend einem Untersuchungsrichter, das scheint mir durchaus möglich zu sein.

Der Staat kann noch weiteres für die Kunst tun. Er kann z. B., um von der Literatur zu reden, aus den Schulbüchern den Kitsch beseitigen und kann die heutige künstlerische Produktion durch Schulbücher fördern. Das dient dann nicht nur zur Erziehung der jungen Generation, sondern es nützt auch dem Künstler, sowohl dem bildenden, dem Zeichner, wie dem Schriftsteller. Das sind so einige Dinge, wie ich mir sie denke, wo der Staat fördernd eingreifen könnte.

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Quelle: Kurt Eisner, „Der Sozialistische Staat und der Künstler“, An Alle Künstler! [Die Novembergruppe] Berlin: Kunstanstalt Willi Simon, 1919, S. 25-26.

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