GHDI logo


Herbert Kühn, „Expressionismus und Sozialismus” (Mai 1919)


Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


Der Expressionismus ist ursprünglich kein Formproblem. Das Primäre ist die Wandlung des Geistes, die Änderung in jenem Urverhältnis, das bezeichnet ist mit der Beziehung von Ich zu Welt.

[ . . . ]

Maschinen, vom Menschen geschaffen zur Hilfe dem Menschen, Kanonen, Automobile, Eisenbahn, Luftschiffe, Telegraph — zu Nutzen dem Menschen, zu seiner Erhöhung — sie standen auf, erhoben sich über den Schöpfer — erschlugen ihn. Sein Wille zerbrach. Sein Bewußtsein schwand. Die Zeit stand auf.

[ . . . ]

Der Mensch verging an der Materie. Wir starben an dem Ungeist: Krieg.

Und wir erwachten neu zu neuem Sein.

Der Weltkrieg ist die letzte Konsequenz einer Epoche, die das Ich vergessen hatte, einer Epoche, die sich vergangen hatte am Geist, einer Epoche, die sich darum selbst vernichten mußte.

[ . . . ]

Wir haben von neuem die Seele erobert, den Geist.

[ . . . ]

Und so gelangen wir zu dem, was die Zeit vor uns vergessen hatte — dem Menschentum.

Wir stellen es aus uns heraus. Wir schaffen es neu. Wir bauen an ihm, wir bilden und formen, um es mehr zu erheben, um es größer zu gestalten — um gewaltiger, leuchtender, lodernder zu machen das Eine, das in uns ringt, das Eine, das uns beschäftigt, das Eine, das uns erfüllt: der Mensch.

[ . . . ]

Im Sozialismus erwacht der Mensch zu seinem Recht. Der Mensch, der vorher geknechtet, ausgebeutet, gedrückt, in Qualen sah, wie ihn die Welt zerstörte. Der Mensch, der langsam zermahlen wurde vom Kapital, der Mensch, der langsam zugrunde ging am Liberalismus und seiner Vertrustung.

Die Materie hat uns vernichtet. Die Materie hat uns zermalmt. Die freudlose Arbeit, die der Mensch erfand, die Steigerung des Kapitals, die der Mensch erschuf — die Maschine — hat sich erhoben gegen den Menschen — hat ihn erschlagen.

Gott war getötet.

Aber Gott läßt sich nicht töten.

[ . . . ]

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite