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Bruno Taut, „Ein Architektur-Programm” (1919)


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Die Kunst! — das ist eine Sache, wenn sie da ist. Heute gibt es diese Kunst nicht. Die zerrissenen Richtungen können sich nur zur Einheit zusammenfinden unter den Flügeln einer neuen Baukunst, so, daß jede einzelne Dißiplin mitbauen wird. Dann gibt es keine Grenze zwischen Kunstgewerbe und Plastik oder Malerei, alles ist eins: Bauen.

Unmittelbarer Träger der geistigen Kräfte, Gestalter der Empfindungen der Gesamtheit, die heute schlummern und morgen erwachen, ist der Bau. Erst die vollständige Revolution im Geistigen wird diesen Bau schaffen. Aber nicht von selbst kommt diese Revolution, nicht dieser Bau. Beide müssen gewollt werden — die heutigen Architekten müssen den Bau vorbereiten. Ihre Arbeit an der Zukunft muß öffentlich ermöglicht und unterstützt werden. Deshalb:

I. Stützung und Sammlung der ideellen Kräfte unter den Architekten

a) Unterstützung baulicher Ideen, welche über das Formale hinweg die Sammlung aller Volkskräfte im Sinnbild des Bauwerks einer besseren Zukunft anstreben und den kosmischen Charakter der Architektur aufzeigen, sog. Utopien. Hergabe öffentlicher Mittel in Form von Stipendien an radikal gerichtete Architekten für solche Arbeiten. Mittel zur verlegerischen Verbreitung, zur Anfertigung von Modellen und

b) für ein gutgelegenes Experimentiergelände (in Berlin: Tempelhofer Feld), auf welchem die Architekten große Modelle ihrer Ideen errichten können. Hier sollen auch in naturgroßen vorübergehenden Bauten oder Einzelteilen neue bauliche Wirkungen, z. B. des Glases als Baustoff, erprobt, vervollkommnet und der großen Masse gezeigt werden. Der Laie, die Frau und das Kind führen den Architekten weiter als der beklemmte Fachmann. Kostenausgleich durch das Material eingeschmolzener Denkmäler, abgebrochener Siegesalleen usw., sowie durch die Beteiligung der mit den Versuchsbauten zusammenhängenden Industrien.

c) Entscheidung über die Verteilung der Mittel durch einen kleinen zur Hälfte aus schöpferischen Architekten, zur Hälfte aus radikal gesinnten Laien bestehenden Rat. Wird keine Einigung erzielt, so entscheidet ein aus ihm gewählter Laie.

II. Volkshäuser

a) Beginn großer Volkshausbauten, nicht innerhalb der Städte, sondern auf freiem Land im Anschluß an Siedelungen. Gruppen von Bauten für Theater, Musik mit Unterkunftshäusern und dergleichen. [ . . . ]

III. Siedelungen

a) Einheitliche Leitung in der Weise, daß ein Architekt weitgespannte Leitsätze aufstellt und danach die sämtlichen Projekte und Bauten prüft, ohne damit im einzelnen die persönliche Freiheit zu behindern. Vetorecht dieses Architekten.

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