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Ernst Bloch, „Hitlers Gewalt” (April 1924)

Kurz nach der Urteilsverkündung im Hitler-Prozess versuchte der marxistische Philosoph und Publizist Ernst Bloch in der unabhängigen Wochenschrift „Das Tage-Buch“, Hitlers Popularität und Anziehungskraft zu erklären. Er warnt davor, Hitler und die Nationalsozialisten aufgrund ihrer dumpfen Rhetorik zu unterschätzen und sieht besonders die Begeisterung der Jugend für Hitlers Bewegung als potenzielle Gefahr.

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[Notiz vor dem Text Blochs im Tage-Buch: „Der Verfasser des „Geistes der Utopie“ und des „Thomas Müntzer“ unternimmt es hier, das Problem der Hitler-Bewegung in eine höhere soziale Kategorie einzureihen. Es braucht nicht gesagt zu werden, daß dieser objektive Versuch in einer geistigen Sphäre unternommen wird, in dem sich Deutschvölkische nicht bewegen.“]


Hitlers Gewalt


Man ging zuerst wohl daran vorüber. Winkte ab, zuckte die Achseln über das hämische Pack, wie es vorkroch. Über die roten Plakate mit den faselnden Sätzen, aber dem klaren Schlagring dahinter. Was frühmorgens grob ans Bett trat, den Paß zu fordern, das schlug sich hier an den Säulen und langen Mauern als Partei an. Juden ist der Zutritt verboten.

All dieses konnte wieder zurücksinken. Es war noch zu fremd und zu wenig tief eingedrungen, das alte München lebte noch. Hier war zudem die Erbitterung gegen den Krieg am frühesten gereift, hier war ins Stadtbild bereits schöne Freude hineingetragen und blühte mit, blühte voran, wurde heimisch. Die finstere Erinnerung an 1919, an Eisners Tod und den Einmarsch der Weißen, konnte immerhin noch verblassen und die Rohheit sich einkapseln, als wäre sie nicht gewesen. Der geglückte Kapp-Putsch, die Verjagung der sozialistischen Minister freilich zeigte von neuem gekräuselte Luft. Aber auch dieses ließ sich noch als Reaktion eines Bauernlandes, einer Bauernstadt auf sehr ungeschickte kommunistische Dilettantismen verstehen. Hitler schien dieser Akt ein Abgesang; je weiter man sich rein zeitlich von der Räterepublik entfernte, desto sicherer schien Bayern wieder ins alte Gesicht zu kommen.

Statt dessen, wie bekannt, wurde das Land von Tag zu Tag bitterer. Die Bauern, die Stadtbauern, sind hier als Pöbel noch da, primitiver, suggestibel, gefährlich, unberechenbar. Dieselben Menschen, welche bei Eisners Begräbnis in zahllosen Trauerzügen die Straßen geschwärzt hatten, brüllten den Sozialisten nach dem Hosiannah das Kreuzige, hetzten die Führer von gestern in den Tod. Von heute auf morgen wechselten die Fahnenschäfte den Sowjetstern mit dem Hakenkreuz; von heute auf morgen stellte das Volksgericht, das Revolutionstribunal, von Eisner geschaffen, Leviné an die Mauer. Hier schwankt der treulose Pöbel, wie ihn alle Machthaber verachteten und gebrauchten, und er schwankt nicht nur, sondern gewiß eben zeigte sich die Jagd auf Tiere und Menschen als seine eigenste Natur. Das sind nicht nur verelendete Kleinbürger, wie sie bald diesem, bald jenem helfenden Mittel zulangen, das ist auch organisiertes Proletariat, nicht einmal relativ organisierbares, bei der Stange haltbares Lumpenproletariat, sondern durchaus nur Lumpenpack, die rachsüchtige, kreuzigende Kreatur aller Zeiten. Von der Attrappe wird sie noch geblendet, von Studenten im Wichs, von der Magie der Aufzüge, Paraden und klingendem Spektakel; aber Votivbilder malt Bayern nicht mehr. Und so zweideutig, eindeutig wie das Volk, sind die Zutreiber beschaffen, oft noch verächtlicher als dieses. Getaufte ungarische Juden werden Spitzel Hitlers, gekaufte »Demokraten« aus dem Material balkanischer Journalisten füllen die Reihen. Die echten Thersites und Vansen wollen nicht fehlen, geben dem Pöbel sein homogenes Haupt.

Dennoch weiß von dem ganzen noch nichts, wer nur dieses weiß. Denn abgetrennt von den scheußlichen Gaffern und Mittätern glüht im Kern neue Jugend, ein sehr kräftiges Geschlecht. Siebzehnjährige brennen Hitler entgegen, Bierstudenten von ehermals, öde, im Glück der Bügelfalte schwelgend, sind nicht mehr zu erkennen, es hämmert ihr Herz. Der alte Burschenschafter steht wieder auf, Schills Offiziere, wiedergeboren, finden in Schlageter ihren Bruder, heldische Bünde mit allen Zeichen irrationaler Verschwörung sammeln sich unter einem geheimen Licht. Hitler, ihr Führer, hat die Schonung seiner Richter und diesen possenhaften Prozeß nicht verdient, aber selbst mit dem Witz Berliner Rechtsanwälte ist ihm nicht beizukommen, und auch Ludendorff, dies brutal beschränkte Mannssymbol, lebt nicht mit ihm auf gleicher Ebene. Der Tribun Hitler, von geringer Herkunft wie Johann von Leiden ist zweifellos eine mächtig suggestive Natur, leider um gar vieles vehementer als all die echten Revolutionäre, die Deutschland 1918 zitierten; von einer Kraft des gesammelten Willens, einem Vitaldruck und Talent der Entzündung, einem Fanatismus der Vision, die ihn seinen Jüngern wie aus dem Geschlecht Bernhard von Clairvaux, ja, der Jungfrau von Orleans erscheinen läßt. Wie diese gab er der abgematteten Ideologie des Vaterlandes ein fast rätselhaftes Feuer; und hat eine neue aggressive Sekte, einen Templerorden, den Keim zu einer stark religiösen Armee, zu einer Truppe mit Mythos geschaffen. Nicht daraus auch erklärt sich die anhaltende Kraft des Hitlerschen Programms, daß hier Befreiung von Juden, der Börse, der Zinsknechtschaft des internationalen Kapitals, von dem vaterlandsfeindlichen internationalen Marxismus versprochen wird und ähnliche verworrene Musik für die Wirtschaft an die Peripherie und die Staatsgesinnung wieder ins Zentrum rückt, so klingt damit zugleich die Mystik der alten, unbürgerlichen Zucht wieder auf, die säkularisierte Ethik der Ritterorden.

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