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Lola Landau, „Kameradschaftsehe” (1929)

Die deutsch-jüdische Autorin Lola (Leonore) Landau (1892-1990) war vor allem als Lyrikerin bekannt, verfasste aber auch Dramen, Hörspiele sowie Artikel für verschiedene Zeitungen. Dieser Artikel erschien 1929 in Die Tat, einer kulturpolitischen Monatszeitschrift, die in Jena verlegt wurde und sich hauptsächlich an eine bildungsbürgerliche Leserschaft richtete. Sie diskutiert darin ein neues Ehemodell, das der US-amerikanische Jugendrichter und Sozialreformer Ben Lindsey (1869-1943) in seinem Buch The Companionate Marriage (1927) vorgeschlagen hatte. Insbesondere die darin vertretenen progressiven Gedanken zu Empfängnisverhütung und Scheidungsrecht lösten nicht nur in den USA heftige Kritik aus. Auch in der Spätphase der Weimarer Republik sollte sich die konservative Reaktion gegen die gesellschaftlichen Umwälzungen der 1920er Jahre zunehmend bemerkbar machen. Lola Landau flüchtete 1933 zuerst nach England und wanderte später nach Palästina aus.

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Kameradschaftsehe


Die Ehe als Zellkern des Gemeinschaftswesens besaß immer eine gesellschaftliche Bedeutung, die sie weit über das Glück von zwei Individuen und ebenso über den reinen Zwecksgedanken als Schutz der Nachkommenschaft hinausgehoben hat. Die Ehe als kleines Modell menschlicher Gemeinschaft erhielt auf diese Weise ihre ethische Idee. Sie wurde zur Urzelle des großen Zellenbaus, und von ihr strömten fruchtbare und aufbauende Kräfte aus.

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Ende des vorigen Jahrhunderts verwandelte sich die bürgerliche Ehe in eine Wirtschaftsinstitution, die Familie wurde zu einem kleinen Trust mit Erwerb und Betrieb des Kapitals, die magnetische Akkumulationskraft des Geldes aber führte immer mehr zu Geldheiraten und verdrängte den ursprünglichen Sinn ethischer Lebensgemeinschaft.

Während eine verheuchelte Gesellschaftsmoral künstlich die alten Formen und Symbole aufrechterhielt, waren sie längst zu toten Formeln erstarrt. Ehrwürdige Worte wie Treue, Heim, Familie hatten ihre beschwörende Kraft verloren, da sie nur mit einem Scheindasein angefüllt waren. Inzwischen aber brauste die elementare Lebenskraft der Jugend wie ein unterirdischer Strom unter der dünnen Schicht der Konvention und wühlte sich neue Wege. Unbemerkt hatte sich eine gewaltige Revolution der Lebensform bereits in Wirklichkeit vollzogen, als man erst begann, die Krise der Ehe öffentlich zu versünden.

Im Mittelpunkt dieser gärenden Kräfte steht die Frau unserer Zeit. Die neue Frau war es, die als selbstständige Persönlichkeit in wirtschaftlicher und geistiger Unabhängigkeit vom Manne die alten Moralbegriffe zersprengte. Das erzwungene Zölibat des jungen Mädchens, die Unlösbarkeit der Ehe sind durch die aufrichtige Wirklichkeit des Lebens nichtig geworden. Die selbständige Frau von heute nimmt sich ebenso wie der Mann das Recht zu einem Liebesleben auch vor der Ehe, um so mehr, als die eheliche Gemeinschaft bei dem zahlenmäßigen Überschuß der Frauen nur eine schwache Zukunftsmöglichkeit für sie bedeuten kann.

Auf diese Weise hat sich die psychologische Einstellung der Frau zur Ehe völlig gewandelt. Sie wartet nicht mehr auf die Ehe, oft sogar wünscht sie heute eine solche Bindung selber nicht mehr, von der sie eine Hemmung ihrer freien Entwicklung befürchtet. Während das Leben des jungen Mädchens früher eine einzige Vorbereitung auf die Ehe war, die sie als ernsthafter Beruf ausfüllen konnte, ist heute die Frau kaum mehr fähig, sich allein auf die Ehe als Lebensaufgabe einzustellen. Damals spannte die wirtschaftliche Tätigkeit im Hause und eine nie rastende Mutterschaft alle Kräfte der Frau in schwerer Arbeit an. Heute entlastet der moderne Wirtschaftsbetrieb den Privathaushalt, und die Mutterschaft wird durch Geburtskontrolle, bedingt durch den Zwang des Daseinskampfes, verhütet oder von langen Pausen unterbrochen. Gewiss entzog sich die Frau durch diese Abwehr der Gefangenschaft, der Sklaverei ihres eigenen Körpers; aber gleichzeitig wird ihr dafür auch das pflanzenhafte Glück gesättigter Ruhe versagt. Die Frau, deren naturhaft mütterliche Kräfte heute ohne ihre Schuld brachliegen müssen, die ebenso wie der Mann in frühem Alter in das Werkgetriebe hineingestoßen wird, drängt nach einer anderen Auswirkung ihres Wesens und findet sie in fruchtbarer Arbeit, meistens außerhalb des Hauses.

Diese berufliche Unabhängigkeit bedeutet auch seelisch eine losere Bindung an den Mann. Das Heim ist nicht mehr der ummauerte Garten tiefer glücklicher Kraft. Auch das Leben der Familie ist der Wandlung unterworfen; es wird teilweise schon abgelöst durch Selbsterziehung der Jugend, durch ein Gruppenleben, das die Kinder dem elterlichen Hause entführt.

Wer wollte leugnen, dass mit dieser Umgestaltung wesentliche Gemütswerte verschüttet werden, dass eine zarte atmosphärische Musik verstummt ist! Aber unerbittlich ist der Marschschritt der Entwicklung. Keine Wunschromantik kann die Frau wieder in ihr früheres Wesen zurückpressen. Auch die bürgerliche Frau ist Arbeiterin geworden. Auch ihr Antlitz wird durch das Maschinenwerk der Zeit hart geschliffen; auch sie unterliegt der Entpersönlichung und Nivellierung unserer Tage. Auch sie wird erst langsam wieder zu einer Bildung der neuen weiblichen Persönlichkeit gelangen müssen, um dem Manne als ebenbürtige und ergänzende Kameradin zur Seite zu stehen.

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