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Anita, „Sex Appeal. Ein neues Schlagwort für eine alte Sache” (1928)

In den 1920er Jahren übten die USA als Inbegriff der Moderne einen enormen Einfluss auf die Gesellschaft und Kultur der Weimarer Republik aus, was unter anderem an den zahlreichen in den Sprachgebrauch eingeflossenen Anglizismen zu erkennen ist. In diesem Artikel aus der Zeitschrift Uhu weist die Autorin darauf hin, dass nicht jeder neuartige Begriff unbedingt eine bisher ungekannte Erscheinung beschreibt. Vor allem die Filmindustrie mit den von ihr hervorgebrachten Stars sorgten nun allerdings dafür, dass der Begriff des „sex appeal“ von den Massenmedien aufgegriffen und diskutiert wurde. Anita Daniel (1893-1978), die ihre Artikel nur mit ihrem Vornamen unterschrieb, war eine Modejournalistin, die hauptsächlich für eine andere Publikation des Ullstein-Verlags, nämlich Die Dame, schrieb. Während ihre Kollegin Vicki Baum weltbekannt wurde, ist Anita Daniel, die 1933 zunächst in die Schweiz und später in die USA emigrierte, heute unbekannt.

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Sex Appeal. Ein neues Schlagwort für eine alte Sache


Jede Generation hat ein Schlagwort für das Ideal ihrer Zeit. Wenn die Formel gefunden ist, verbreitet sie sich wie ein Lauffeuer, dann wird der Begriff erläutert, analysiert und begeistert verfochten, — bis er abgegriffen ist.

Diesmal hat man kein deutsches Wort für das neue Ideal gefunden. Es gibt anscheinend Dinge zwischen Himmel und Erde, deren tiefsten Sinn nur eine einzige Sprache restlos enthüllt, und die darum unübersetzt in den Sprachschatz der Welt aufgenommen werden.

Den international gültigen Begriffen wie five o’clock, flirt, dancing, cock-tail hat sich ein neuer, höchst wichtiger zugesellt: sex appeal. Jahre hindurch nannte man es das gewisse Etwas. Gemeint war jener Zauber, der von Wesen ausgeht, die man nicht einfach unter die Rubrik Schönheit einreihen konnte.

Und plötzlich kam es aus Amerika wie eine Erleuchtung — es war eben sex appeal.

Bis vor kurzem fragte man bei einer Frau ausschließlich: Hat sie schöne Beine? Jetzt lautet die brennende Frage: Hat sie sex appeal?

Um die Etymologie dieses Wortes zu geben, kann man nur zu Bildern greifen und jene zeigen, die „es“ haben. Aber was haben sie? Da fängt eben die Schwierigkeit der Erklärung an.

„Une belle laide“, sagen die Franzosen. „Sie hat so was“, sagt der Volksmund. „Nicht schön, aber mehr als das“ — alles Umschreibungen für sex appeal.

Es ist die vollendete Inkarnation des Geschlechts, ob männlich oder weiblich — denn, obwohl man dabei fast immer ausschließlich an Frauen denkt, müßte der Begriff des „sex appeal“ auch für den Mann gelten. Man redet nur weniger darüber — vielleicht, weil beim erfolgreichen Mann eo ipso hauptsächlich sex appeal in Frage kommt. Bei der Frau haben die Faktoren Schönheit, Eleganz, Grazie usw. noch ihre Sondergeltung.

Jede Generation hat den Ehrgeiz, ihre Schlagwörter als neues Patent anzumelden. Später, bei längerem Gebrauch, stellt es sich dann heraus, daß haargenau dasselbe bereits unter mehreren anderen Namen eingetragen war.

Sex appeal hat es natürlich schon zu Zeiten gegeben, in denen noch niemand Englisch sprach. Und im Mittelalter wurde man wegen allzu starken sex appeals einfach verbrannt — man nannte es damals Hexerei...

Wenn eine sehr schöne Frau auch noch sex appeal hat — da geschehen welterschütternde Dinge. Zumindest aber wird sie ein Filmstar, von dem fünf Erdteile träumen und eine ganze Generation Komplexe bezieht.

Unsere sachliche Zeit sucht und findet für alles den technischen Ausdruck und die sachliche Erklärung. Bis sie an den einen Punkt kommt, wo sie einstweilen nicht weiter kann. Dann heißt es eben Atom, Welle, sex appeal.



Quelle: Anita, „Sex Appeal. Ein neues Schlagwort für eine alte Sache“, Uhu 5 (1928), S. 72-77.

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