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Berliner Illustrirte Zeitung: „Nun aber genug! Gegen die Vermännlichung der Frau” (1925)

Diese Kolumne aus der Berliner Illustrirten Zeitung vom März 1925 greift das Erscheinungsbild der „Neuen Frau“ an, das eng mit der Kulturgeschichte der 1920er Jahre verbunden ist. Die seit 1894 im Besitz des Ullstein-Verlages befindliche illustrierte Massenzeitung gab sich grundsätzlich eher liberal, weltstädtisch und unpolitisch. Im Gegensatz zum jugendlichen „flapper“ empfindet der Autor die maskulin gekleidete und frisierte, erwachsene Frau als Ausdruck veränderter Geschlechterverhältnisse als bedrohlich, wie an dieser unverhohlen sexistischen Kritik an der kulturellen Selbstdarstellung der „Neuen Frau“ deutlich wird. Während andere Publikationen des Ullstein-Verlags wie z.B. die Zeitschrift Die Dame zuvor wesentlich zur Popularisierung des Typus der „Neuen Frau“ beigetragen hatten, zeichnet sich hier der Beginn des gesellschaftlichen Rückschlags gegen das Ideal der emanzipierten Frau ab.

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Nun aber genug! Gegen die Vermännlichung der Frau


Was zuerst ein launisches Spiel der Frauenmode war, wird allmählich zu einer peinlichen Verwirrung. Zuerst wirkte es wie ein anmutiger Scherz: daß zarte, zierliche Frauen sich das lange Frauenhaar abschnitten und mit der Pagenfrisur erscheinen; daß Sie Kleider anlegten, die den Linienschwung des weiblichen Körpers, die Ausladung der Hüften verleugnend, beinahe glatt herabfielen; daß Sie die Röcke kürzten und schlanke Beine bis zur stärksten Rundung der Waden sehen ließen. Selbst altväterische Männer brauchten daran kein Ärgernis zu nehmen. Solch ein Wesen hätte man ja gern mit dem verschollenen Liebeswort „mein Engel“ grüßen mögen, - denn die Engel sind geschlechtslos, aber immer hat man sie sich bis auf den jünglinghaften Erzengel Gabriel, alle in weiblicher Gestalt vor deren Vollreife vorgestellt. Aber anstößig wurde es bereits für das männliche Gefühl, als jene Mode, die weiblicher Jugend und Zierlichkeit so wohl anstand, bei den Frauen allgemein wurde. Kein ästhetisches Urteil konnte sie bei stattlichen und vollen Frauenerscheinungen rechtfertigen.

Die Bewegung ging jedoch noch weiter: nicht mehr geschlechtslos wie die Engel wollte die Frau aussehen, sondern immer bestimmter legte die Mode es darauf an, das weibliche Äußere zu vermännlichen. Immer weiter verbreitete sich die Frauensitte, das männliche Schlafgewand anzulegen, ja es womöglich noch als Morgentoilette zu tragen. Und immer häufiger sehen wir die Pagenfrisur mit ihren Locken verschwinden und die moderne männliche Frisur mit den glatt nach rückwärts gebürsteten Haaren an ihre Stelle treten. Ausgesprochen männlich ist auch die neueste Mode des Damenmantels; man wird es in diesem Frühjahr kaum noch bemerken, wenn etwa zerstreute Frauen die Mäntel ihrer Gatten anziehen. Man könnte von einer Pendelbewegung der Mode sprechen: mit der Krinoline hatte sie es zur extremen Betonung weiblicher Körperformen gebracht, jetzt schlägt sie nach entgegengesetzter Richtung ebenso weit aus. Es ist hohe Zeit, daß der gesunde männliche Geschmack sich gegen solche üblen Moden wendet, deren Ausschreitungen von Amerika aus zu uns verpflanzt werden. Wir mögen ja im Theater gern einmal eine Schauspielerin, die danach gewachsen ist, in einer Hosenrolle sehen, aber weder auf der Bühne noch beim Sport dürfte jede Frau es wagen, sich in Hosen zu zeigen. Und die Vermännlichung des Frauenantlitzes gibt ihm für den echten Reiz, den sie ihm nimmt, bestenfalls einen unnatürlichen: wie ein süßlicher Knabe auszusehen, was ein Abscheu für jeden richtigen Knaben oder Mann ist.



Quelle: „Nun aber genug! Gegen die Vermännlichung der Frau“, Berliner Illustrirte Zeitung, 29. März 1925, S. 389.

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