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OMGUS-Umfragen: Einstellung gegenüber den Vertriebenen (13. September 1946)

In den ersten Monaten und Jahren nach Kriegsende stellte die Versorgung und langfristige Integration der Millionen von Flüchtlingen und Vertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft ein zentrales politisches und sozioökonomisches Problem dar. Diese Umfrage vom September 1946 in Württemberg-Baden in Südwestdeutschland belegt, dass viele Flüchtlinge neben der unmittelbaren materiellen Not darunter litten, dass sie sich von der deutschen Bevölkerung vor Ort abgelehnt fühlten. Eine große Mehrheit wollte in ihre Heimat zurückkehren. Auf deutscher Seite wurden die Flüchtlinge vor allem von Angehörigen der Mittel- und Oberschicht als Ausländer betrachtet. Sie sahen in den Neuankömmlingen eine Belastung, die auf keinen Fall von den Deutschen allein getragen werden sollte.

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Untersuchung zur Feststellung von Einstellungsänderungen einheimischer Deutscher gegenüber den Vertriebenen in Württemberg-Baden

Befragte: 624 Personen (von denen 8,5 Prozent seit weniger als einem Jahr in Württemberg-Baden lebten, 9,5 Prozent seit maximal vier Jahren und 82 Prozent seit mehr als fünf Jahren).
Untersuchungszeitraum: 13. September 1946 (10 Seiten).


Vom Standpunkt der Vertriebenen sank die Zahl jener, die sich über ihre Aufnahme in Württemberg-Baden positiv äußerten, zwischen März und September 1946 von 75 auf 60 Prozent (siehe Bericht Nr. 14A vom 8. Juli 1946). Zwei Fünftel der über ihre Aufnahme Unzufriedenen meinten, die Einheimischen würden sie nicht als Deutsche betrachten, sondern als Menschen von geringerem Wert, als Ausländer oder sogar als Bettler. Sieben von zehn Personen drückten den Wunsch aus, in ihre Heimatorte zurückzukehren. Nach dem größte Problem seit ihrer Ankunft in der amerikanischen Zone gefragt, gaben 35 Prozent mangelnden Wohnraum an, 20 Prozent das Fehlen von Arbeitsplätzen und weitere 20 Prozent zu wenig Kleidung. Nach den angesichts des nahenden Winters zu erwartenden Problemen gefragt, nannte fast die Hälfte (43%) Wohnraum, 39 Prozent Kleidung und Schuhe, 31 Prozent Arbeit und 24 Prozent Ernährung. (Die einheimische Bevölkerung teilte diese Problemhierarchie, wobei 61 Prozent Wohnungsprobleme nannten, 50 Prozent Ernährung und Kleidung und ein geringerer Prozentsatz den Mangel an Arbeitsplätzen.)

Vom Standpunkt der einheimischen Bevölkerung in Württemberg-Baden aus gab es bezüglich der Vertriebenen divergierende Meinungen. Die Bevölkerung war allgemein davon überzeugt, dass die Tschechoslowakei und Ungarn kein Recht gehabt hätten, diese Leute zu vertreiben (75 Prozent im März, 84 Prozent im September). Im September sahen so, in der Tat, 28 Prozent der Befragten in den Vertriebenen Ausländer, gegenüber 49 Prozent, die bereit waren, sie als deutsche Staatsbürger zu akzeptieren. (Bei Personen mit einer über acht Jahre hinausgehenden Schulbildung stieg der Anteil jener, für die die Vertriebenen Ausländer waren, auf 42 Prozent; und 38 Prozent der Befragten aus der Mittelschicht waren derselben Meinung.) Mehrheiten (83 Prozent im März und 74 Prozent im September) waren dennoch bereit, den Vertriebenen volle Teilhabe an der Politik zuzugestehen, obwohl die besser Ausgebildeten und wohlhabenderen Staatsbürger dazu neigten, diese Rechte zu begrenzen. Zwei Fünftel (40%) der 17 Prozent des gesamten Samples, die sich im September für eine Begrenzung der politischen Rechte von Vertriebenen aussprachen, meinten auch, die Vertriebenen seien keine Deutschen und würden auch nicht wie Deutsche denken.

Die Einwohner von Württemberg-Baden waren zunehmend weniger bereit, Verantwortung für die Vertriebenen zu übernehmen: Die Zahl jener, die der Meinung waren, die Deutschen allein sollten sich um sie kümmern, ging von 39 Prozent im März auf 27 Prozent im September zurück; jene, die die Länder in die Pflicht nehmen wollten, aus denen die Leute vertrieben wurden, stieg von sieben auf 36 Prozent; die Zahl der Befragten, die internationale Organisationen angaben, blieb fast konstant (15 Prozent im März, 16 Prozent im September); und der Anteil jener, die die Amerikaner oder die westlichen Allierten nannten, mit oder ohne einen deutschen Beitrag, fiel von 23 auf sechs Prozent. Personen mit dem höchsten Bildungsstand waren am wenigsten gewillt, Deutschland in die Pflicht zu nehmen. Drei Viertel der einheimischen Wohnbevölkerung (73%) und fünf Sechstel der Vertriebenen (83%) gestanden den amerikanischen Behörden zu, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den deutschen Behörden zu helfen, das Vertriebenenproblem zu lösen. Und wiederum waren es jene mit der höchsten Bildung und Angehörige der Mittelschicht, die dieser Meinung am ehesten widersprachen. Fast vier von fünf Einheimischen (78%) in der amerikanischen Zone hielten die Vertriebenen für eine finanzielle und wirtschaftliche Belastung – eine Einstellung, die unter den Gebildeteren und Angehörigen der Mittel- und Oberschicht stärker ausgeprägt war –, während nur 13 Prozent glaubten, die Anwesenheit der Vertriebenen würde sich positiv auf die AMZON-Wirtschaft auswirken.



Quelle: A. J. und R. L. Merritt, Public Opinion in Occupied Germany, The OMGUS Surveys. Urbana, IL, 1970, S. 112-14.

Übersetzung aus dem Englischen ins Deutsche: Erica Fisher

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