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Arnold Brecht über Paul von Hindenburg, Franz von Papen und Kurt von Schleicher (Rückblick 1967)

Von konservativer Seite wurde eine politische „Zähmung“ der Nationalsozialisten angestrebt, dergemäß die vermeintlich „wertvollen Elemente“ der NS-Bewegung in einen konservativ-autoritär geführten Staat integriert werden sollten, eine Konzeption, die insbesondere Kurt von Schleicher vertrat.

Hierbei spielten wehrpolitische Überlegungen eine wichtige Rolle: Die Reichswehr – gerade durch das Präsidialregime des ehemaligen Generalfeldmarschalls Hindenburg ein bedeutender innenpolitischer Faktor – sah die SA vorrangig unter dem Gesichtspunkt des Rekrutierungspotentials; die Überlegung war, nach Wiedergewinnung der Rüstungsgleichberechtigung die SA in die Landesverteidigung und die angestrebte Vergrößerung der Reichswehr (etwa durch eine zu schaffende Miliz) einzubeziehen. Eine direkte Konfrontation mit der NS-Bewegung sollte daher nach Möglichkeit vermieden werden. Papen übernahm dieses Zähmungskonzept und glaubte, Hitler mit Hilfe der konservativen Minister kontrollieren zu können. Letztlich wurde aus einem gewissen elitären Dünkel heraus der Emporkömmling und „Gefreite“ Hitler und dessen politische Fähigkeiten völlig unterschätzt.

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Die Kritik an Hindenburg, Papen und Schleicher kann sich also nicht dagegen richten, daß sie etwa absichtlich Hitler die Macht in die Hände gespielt hätten, sondern nur, daß sie durch ihre dilettantischen Maßnahmen gerade den Erfolg herbeigeführt haben, den sie verhindern wollten. Nicht böse Absicht also, sondern politische Torheit ist der Kern der Vorwürfe gegen sie – Leichtsinn politischer Dilettanten auf Kosten Deutschlands an Deutschland ausgelassen, verbunden mit Verfassungsbruch, verbunden leider auch mit Mangel an Charakterstärke in entscheidenden Situationen und mit mehr als durchschnittlichem Selbstvertrauen, im Falle Papens gegründet auf eine seltsame Mischung von Frömmigkeit und persönlicher Eitelkeit, die nicht wie bei Rathenau zur Zeit seines Amtsantritts schon in der Vergangenheit lag, sondern sich gerade jetzt auf der Höhe zu befinden schien.

Der Gedanke, durch eine Schwenkung nach rechts den Nationalsozialisten den Wind aus den Segeln zu nehmen, war an und für sich weder dumm noch leichtsinnig. In gewissem Grade hatte das auch Brüning gewollt. Aber Papen und Schleicher gedachten in der bei dilettantischen Militärpolitikern so sehr üblichen Art (Papen war immer noch der elegante Kavallerieoffizier geblieben, von dem Briand gesagt haben soll, je länger er ihn ansähe, desto mehr bewundere er sein Pferd), mit einem einfachen strategischen Plan aufs Ganze zu gehen, und das gefiel dem alten Generalfeldmarschall natürlich. Tolerierung der Nationalsozialisten bis zu einer zugestandenen Vereinbarung mit ihnen über ihre reziproke Tolerierung des Kabinetts Papen, Einstellung der Frontalangriffe auf sie, statt dessen Frontalangriff nur noch gegen die Linke, aber dort nicht nur gegen die Kommunisten, sondern jetzt auch gegen die Sozialdemokraten, kühne Beiseiteschiebung verfassungsrechtlicher Bedenken, wo sie diesen Plänen im Wege standen – das hielten Papen und Schleicher für die besten Mittel, um Hitler zu überwinden.

Mancher deutsche Leser mag in seinem tiefsten Herzen auch heute noch fragen, warum denn nicht? Das waren doch in den Augen vieler Millionen Deutscher sehr gute Pläne. Vom Standpunkt eines Demokraten waren sie natürlich schlecht, aber vom Standpunkt eines Gegners „demokratischer Gleichmacherei“ waren sie gut. Ob gut oder schlecht, kann doch nicht durch den jeweiligen Schriftsteller autoritativ entschieden werden. Und was die Verfassung angeht, so haben Sie, Arnold Brecht, doch selbst gesagt, die Freunde der Demokratie müßten, wenn die Volksmehrheit sich als antidemokratisch erweise, rechtzeitig die Demokratie in die nächstbeste Regierungsform hinüberführen, solange sie dazu noch in der Lage sind. Warum sollten Gegner der Demokratie nicht dasselbe tun dürfen?

Wenn solche Argumente nicht von egoistischen Motiven inspiriert sind, was – bewußt oder unbewußt – oft der Fall ist, sondern von rein idealistischen, was gelegentlich vorkommt, so verdienen sie eine Antwort. Hier sei dazu nur folgendes gesagt. Selbst wenn man aus solchen Gründen die Politik Papens und Schleichers im Frühjahr und Sommer 1932 nicht von vornherein prinzipiell verwirft, sie nicht von vornherein als töricht und leichtsinnig ablehnt, wenn man sie gefühlsmäßig sogar für begrüßenswert und vernünftig hält, so hört doch diese freundliche Beurteilungsmöglichkeit sogleich auf, wenn man sich der tatsächlichen Durchführung zuwendet und bedenkt, daß sie gerade das herbeigeführt hat, was sie verhindern wollte – die totale Macht der Nationalsozialisten.



Quelle: Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes: Lebenserinnerungen 1927-1967. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1967, S. 167-68.

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