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Arnold Brecht über Heinrich Brüning und die Nationalsozialisten (Rückblick 1967)

Der von Arnold Brecht durchaus positiv eingeschätzte Brüning ging gegen die Nationalsozialisten eher widerwillig und halbherzig vor. Angesichts der Wahlerfolge der NSDAP in Reichs- und Landtagswahlen sondierte Brüning wiederholt, inwieweit Koalitionen oder Kooperationen – zunächst auf Landesebene – zwischen Zentrum und NSDAP realistisch wären. Ein erstes vertrauliches Gespräch zwischen Hitler und Brüning fand am 5. Oktober 1930 statt, allerdings ohne greifbares Ergebnis. Übrige Verhandlungen zwischen Zentrum und NSDAP – etwa die Koalitionsverhandlungen nach der hessischen Landtagswahl am 15. November 1931 – scheiterten am Führungsanspruch der Nazis. Initiativen zur Bekämpfung der NS-Bewegung wie z.B. das SA- und SS-Verbot vom 13. April 1932 gingen eher von den Ländern aus (besonders Preußen, aber auch von Bayern unter dem BVP-Ministerpräsidenten Heinrich Held), weniger von der Regierung Brüning.

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Die Brüningsche Regierung konzentrierte sich, wie gezeigt, auf Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das erschien ihr wichtiger als eine direkte gesetzliche oder polizeiliche Bekämpfung der nationalsozialistischen Partei. Ohne außenpolitische Erfolge und ohne Überwindung der Wirtschaftskrise waren chaotische Verhältnisse zu erwarten, die früher oder später zu einer Diktatur der Rechten oder Linken führen würden. Außen- und wirtschaftspolitische Erfolge würden sich auch als wirksamste Waffe zur Bekämpfung totalitärer Pläne erweisen. Das war gewiß richtig gedacht.

Aber die wachsende Bedrohung durch Gewalt und Terror zwang Brüning vom Frühjahr 1931 an, gegen die Extremisten auch frontal vorzugehen. Eine Reihe von Notverordnungen ergingen zu diesem Zweck im März, Juli, August, Oktober und Dezember 1931 sowie im April 1932. Sie bestimmten, daß alle öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und Aufmärsche 48 Stunden vorher der Polizei angezeigt werden mußten; daß sie verboten werden konnten, wenn die Umstände die Besorgnis rechtfertigten, die öffentliche Ruhe und Sicherheit könnte gefährdet werden; daß politische Plakate und Flugblätter zuerst der Polizei vorgelegt werden mußten, die ihre Verbreitung verbieten konnte, wenn dies zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit notwendig war. Sie verboten die Benutzung von Lastwagen bei politischen Aufmärschen, da sie oft als Kampfwagen gedient hatten. Sie ermächtigten die Polizei, die Uniformen und Abzeichen politischer Organisationen zu verbieten, nachdem das Reichsgericht die Gesetzmäßigkeit eines ohne solche reichsgesetzliche Ermächtigung erlassenen preußischen Verbotes bestritten hatte. Später (im November 1931) verhängten sie sogar unmittelbar ein solches Verbot für das ganze Reich, damit das Tragen des Braunhemdes in der Öffentlichkeit überall untersagend. Auch erhielt die Polizei durch Notverordnung die Erlaubnis, Räumlichkeiten zu schließen, von denen Gewalttaten zu mehreren ausgegangen waren oder solches zu befürchten war.

Strafen für Hochverrat gegen die Republik und für das Verschweigen der Namen von Herausgeber und Drucker auf Veröffentlichungen, die hochverräterische Stellen enthielten oder sonst die für die Wahrung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit erlassenen Vorschriften verletzten, wurden verschärft. Die Polizei wurde angewiesen, nötigenfalls zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit jeden zu verhaften und festzusetzen, der dort, wo es verboten war, insbesondere bei öffentlichen Versammlungen und Aufmärschen, Waffen trug. Wer aus diesem Grunde verhaftet wurde, konnte ein Gericht nur über die Frage anrufen, ob er das Verbot übertreten hatte. Bejahendenfalls mußte er sich mit seiner polizeilichen Inhafthaltung bis zu drei Monaten abfinden.

Hindenburg unterzeichnete anstandslos auch diese Notverordnungen, als die Regierung Brüning sie ihm vorlegte. Sie ergänzten das im Jahre 1930 abgeschwächte Gesetz zum Schutze der Republik. Dieses hatte zwar auch in seiner abgeschwächten Form gewisse vorbereitende Handlungen zum Mord oder zum Sturz der verfassungsmäßigen Regierung sowie böswillige Beschimpfung der Republik, der Reichsflagge oder der Reichsfarben noch unter Strafandrohung gestellt. Es hatte auch die Länderregierungen ermächtigt, für vier Wochen Zeitungen zu verbieten, in denen solche Gesetzesverletzungen gefunden wurden. Aber das genügte nicht mehr. Die ständige Zunahme von Terror und Gewaltanwendung veranlaßte Brüning, die oben erwähnten zusätzlichen Maßnahmen vorzuschlagen, und Hindenburg unterzeichnete sie.

Die Unruhen nahmen in der Tat bedrohlichen Charakter an. Hauptsächlich handelte es sich um Kämpfe zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten. Doch auch Zusammenstöße mit den Verteidigern der Weimarer Verfassung führten zu Blutvergießen. Allmonatlich wurde eine Anzahl Personen teils bei solchen Zusammenstößen getötet, teils heimlich erschlagen.



Quelle: Arnold Brecht, Mit der Kraft des Geistes: Lebenserinnerungen 1927-1967. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1967, S.137-39.

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