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Arnold Brecht zur Deflationspolitik Heinrich Brünings (Rückblick 1967)

Heinrich Brüning ging nach seinem Amtsantritt als Reichskanzler am 29. März 1930 die Konsolidierung des Haushalts an. Da jedoch das außenpolitische Ziel, den Versailler Vertrag zu revidieren und insbesondere die Lasten der Reparationszahlungen abzuschütteln für Brüning oberste Priorität hatte, wurde die Wirtschaftskrise von ihm gleichzeitig bewusst instrumentalisiert. In seiner Variante der „Erfüllungspolitik“ sollten die Reparationszahlungen nach dem Young-Plan zunächst korrekt geleistet werden, mit Verweis auf die vermeintlich alternativlose Austeritätspolitik allerdings letztlich eine Befreiung von ihnen erreicht werden. Daneben wollte die Regierung Brüning durch Senkung der Produktionskosten den deutschen Export ankurbeln; angesichts der weltweit grassierenden Schutzzollpolitik und der Abwertung des britischen Pfunds im September 1931 wurde die Krisenüberwindung durch Export letztlich illusorisch. Zahlreiche an Keynes (der wegen seiner Kritik am Versailler Vertrag in Deutschland bestens bekannt war) orientierte Vorschläge zur staatlichen Intervention in der Wirtschaftskrise wurden öffentlich diskutiert und auch der Regierung dargelegt, aber von Brüning und Reichsbankpräsident Luther abgelehnt. Mit dem rücksichtslosen Festhalten an seiner Deflationspolitik nahm Brüning die Verelendung weiter Teile der deutschen Bevölkerung in Kauf, was ihm den Spitznamen „Hungerkanzler“ einbrachte.

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Es erscheint heute – und erschien manchem Beobachter schon damals – äußerst zweifelhaft, ob Brünings Deflationspolitik richtig war. Senkung der deutschen Produktionskosten um 20 v. H. konnte zwar die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Ausfuhr auf dem Weltmarkt erheblich steigern, aber doch nur, wenn dieser Erfolg nicht durch Gegenmaßnahmen anderer Länder vereitelt wurde. In der Tat wich Großbritannien dieser Schädigung seines Handels durch drei Gegen maßnahmen aus: Pfundabwertung um mehr als 20 v. H. im September 1931, Herabsetzung der Gehälter der öffentlichen Beamten und Angestellten um 10 bis 15 v. H. im gleichen Monat und Einführung von Schutzzöllen im Jahre 1932. Das glich die Vorteile, die Deutschlands Außenhandel von Brünings Verordnungen hatte, für England mehr als aus. Die Vereinigten Staaten hatten ihre Schutzzölle schon 1930 erhöht. So kam Deutschland auf dem Weltmarkt weitgehend um den erhofften Erfolg. Im Innern aber wirkten die schrittweise verstärkten Kürzungen der Löhne, Pensionen, Arbeitslosen- und Wohlfahrtsunterstützungen auf die Empfänger aller dieser Zahlungen unausgesetzt aufreizend, so daß sie eine leichte Beute der antidemokratischen Propaganda von rechts oder links wurden, zumal das ganze System auf bloßen Notverordnungen beruhte.

Auch die vernünftigste wirtschaftliche Maßnahme kann ungesund sein, wenn sie das politische Gleichgewicht über den Haufen wirft und das Land in den Trubel von Revolte und Revolution stürzt.

Hätte eine andere Wirtschaftspolitik bessere Erfolge haben können?

Autobiographisch kann ich nur berichten, daß ich damals die eisern logische, konsequente und rigorose Durchführung des Planes, Löhne und Preise gleichmäßig zu senken, angestaunt und bewundert, sie aber zugleich wegen der politischen Folgen mit wachsender Sorge beobachtet habe. Ich hielt es für unbedingt notwendig, und zwar um fast jeden Preis, die Arbeitslosen von der Straße und in Arbeitsstellen zu bringen, ehe sie völlig politisch radikalisiert waren. Das zu sagen, ist nicht erst heute, sondern war schon damals beinahe eine Banalität. Es fragte sich ja, wie denn das geschehen konnte.

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