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Der Reformator erinnert sich – Luther und sein Vater (5. Juni 1530)

Gegen 1482 brachte Hans Luder (Luther) († 1530) seine Frau, Margarethe, aus Eisenach (ihrem Geburtsort) nach Eisleben, wo 1483 ihr Sohn, Martin, geboren wurde. 1484 zog Hans mit seiner Frau und dem einjährigen Sohn in die Umgebung der Stadt Mansfeld, stieg ins Bergbaugeschäft ein und begann schließlich damit, Kupfer aus den umliegenden Minen zu schmelzen. Luders Geschäfte gingen gut genug, um den jungen Martin an die Universität nach Erfurt zu schicken. Der junge Luther studierte dort von 1501 bis 1505, brach aber schließlich sein Studium ab und widmete sich von da an dem klösterlichen Leben – eine Entscheidung, die seinen Vater erzürnte. Am 5. Juni 1530, nach dem Tod seines Vaters, schrieb Luther an seinen Kollegen und Mitarbeiter Philipp Melanchthon (1497-1560). In diesem Brief (nachfolgend wiedergegeben) bittet Luther Melanchthon um weitere Nachrichten vom Reichstag in Augsburg. Schließlich sinnt er über die Rolle seines Vaters in seinem Leben nach sowie über seine neue Stellung als Ältester der Familie Luther.

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Martin Luther an Philipp Melanchthon.
[Veste Coburg,] 5. Juni 1530.


Gnade und Frieden in Christo! Ich habe Dir im letzten Brief geschrieben, mein lieber Philippus, daß wir uns darüber ärgern, daß Ihr den Boten ohne Briefe habt zu uns zurückkehren lassen, da Ihr doch so viele Leute seid und fast alle des Schreibens kundig. Nun habt Ihr erneut einen Boten ohne Briefe weggehen lassen, zuerst Apels Boten und jetzt den Coburger Fuhrmann, der das Wildbret gebracht hat. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, ob Ihr so nachlässig oder indigniert seid, da Ihr doch wißt, daß wir hier in der Wüste sitzen wie auf dürrem Land und nach Euren Briefen lechzen, aus denen wir alles über Eure Sache erfahren wollen. Wir haben freilich gehört, der Kaiser habe den Augsburgern befohlen, ihr Kriegsvolk zu entlassen und die Absperrungsketten auf den Straßen abzureißen.

Vorgestern war Argula von Staufen hier, die von dem unvorstellbaren Pomp erzählt hat, mit dem der Herzog von Bayern den Kaiser in München mit Schauspielen und anderen neuen Ehrungen empfangen hat. Außerdem fangen sie von Nürnberg aus an, uns zu überzeugen, der Kaiser werde nicht zum Reichstag kommen und der Reichstag werde weiterhin nutzlos sein, nämlich durch den Eifer und die List der Bischöfe. Wenn das geschieht, ist es ein Zeichen für Gottes unversöhnlichen Zorn auf die Bischöfe, wie wenn er unsere Bitten für sie nicht erhören wolle.

Wenn die Urteile über mein Buch [Vermahnung an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg] auseinandergehen, so laß Dich davon nicht rühren. Mein Gott ist der Gott der Toren und spottet der Weisen. Darum kümmere ich mich auch nicht um sie.

Heute hat mir Hans Reinicke geschrieben, daß mein liebster Vater, der alte Hans Luther, am Sonntag Exaudi [29. Mai 1530] nachts um ein Uhr aus diesem Leben geschieden ist. Dieser Tod hat mich in tiefe Trauer gestürzt, da ich zurückdachte nicht allein an seine Natur, sondern auch an die herzliche Liebe; denn mein Schöpfer hat mir durch ihn gegeben, was ich bin und habe. Und obwohl es mich tröstet, daß er schreibt, er sei stark im Glauben an Christus sanft entschlafen, so hat mich doch das Leid und die Erinnerung an den so freundlichen Umgang mit ihm innerlich erschüttert, daß ich den Tod kaum jemals so sehr verachtet habe. Aber »der Gerechte wird vor dem Unglück weggerafft und geht ein zu seiner Ruhe« (Jes. 57, 1 f.): so oft sterben wir, ehe wir einmal wirklich sterben.

Ich folge jetzt in der Erbschaft des Namens, so daß ich der älteste Luther in meiner Familie bin. So muß ich jetzt nicht allein zufällig, sondern rechtmäßig ihm durch den Tod in das Reich Christi folgen, das uns allen gnädig gewähren möge der, um dessentwillen wir elender als alle Menschen und ein Ärgernis für die ganze Welt sind.

Nun bin ich freilich zu traurig, um noch weiter zu schreiben, denn es ist würdig und recht, daß ich als Sohn um einen solchen Vater trauere, von dem mich der Vater der Barmherzigkeit (2.Kor. 1, 3) genommen hat und durch dessen Schweiß er mich ernährt und gebildet hat, wie ich bin. Ich freue mich wirklich sehr, daß er bis auf diese Zeit gelebt hat, damit er das Licht der Wahrheit sehen konnte. Gelobt sei Gott in allen seinen Taten und Plänen in Ewigkeit, Amen. Anderes ein andermal. Grüße alle die Unsern. Am Pfingsttag 1530.

Martinus Luther D.



Quelle der deutschen Übersetzung: „An Melanchthon. [Veste Coburg,] 5. Juni 1530“.
In Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Band 6, S. 117-19.
© Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 1995.

Quelle des lateinischen Originals: „Luther an Melanchthon. [Veste Coburg,] 5. Juni 1530.“
In D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe (Sonderedition). Abteilung 3: Briefwechsel. Band 5, S. 350-51.

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