GHDI logo


Die klassizistischen und romantischen Stile: Briefwechsel zwischen Clemens Fürst von Metternich und König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1840)

Die klassizistischen und romantischen Stile treffen eindrucksvoll in dem Briefwechsel zwischen Clemens Fürst von Metternich und König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen aufeinander. Der Einfluss des Klassizismus zeigte sich eindeutig in Metternichs Schreiben vom 11. Juni 1840, geschrieben nach dem Tod Friedrich Wilhelms III. Wie auch der König in seiner Antwort anmerkt, vereinigt Metternichs Stil rationales Denken mit dem für den Anlass gebotenen Mitgefühl; trotz des persönlichen Charakters der Korrespondenz schreibt der österreichische Kanzler wie ein Staatsrepräsentant, benutzt ausgefeilte, würdevolle Formulierungen. Dagegen zeigt die Antwort Friedrich Wilhelms vom 27. Juni 1840 seine eigene Hingabe an die Romantik: Sein Stil ist weitaus gefühlsbetonter und weniger kunstvoll, wendet sich aber verstärkt an Metternichs Mitgefühl und Bedauern.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


I. Metternich an König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (Schreiben) Wien, 11. Juni 1840

Eure Majestät hat die Vorsehung nun zu der Allerhöchstdenselben angebornen hohen Bürde des Thrones berufen! Sie werden derselben gewachsen sein; das allgemeine Vertrauen haben Sie sich bereits zu erwerben gewußt, und ebenso werden Sie es zu rechtfertigen wissen. Nicht Eurer Majestät wünsche ich Glück zu Ihrer Thronbesteigung; Ihrem Reiche gebührt der Wunsch.

Wenn das Regieren in allen Zeiten eine schwer zu lösende Aufgabe ist, umsomehr ist dies der Fall in Zeiten wie es die unserigen sind. Was ich unter dem Regieren verstehe, dies wissen Eure Majestät und ich hege die volle Ueberzeugung, daß die Ansichten und die Gefühle Ihres Geistes und Ihres Herzens in vollstem Einklange mit den meinigen stehen.

Höchstdieselben kennen die treue Verehrung, welche ich dem nun verewigten König zollte; an mir hat Derselbe nie gezweifelt, sowie ich auf Ihn stets gebaut habe. Die Aufgabe meines mehr als dreißigjährigen Ministeriums war, Oesterreich und Preußen als das wahre Centrum unseres Welttheiles auf das Engste an einander zu binden. Diese Aufgabe, sagt mir mein Gefühl, habe ich so gut, wie dies mir möglich war, gelöst. Nun wird auch diese Erbschaft auf Eure Majestät übergehen, und wie Sie über deren Werth vor Jahren dachten, ist mir bekannt. Geruhen Höchstdieselben die Versicherung anzunehmen, daß ich aus dieser Kenntniß eine Kraft schöpfe, die ich nach ihrem ganzen Werthe zu ehren weiß.

Geruhen Eure Majestät mir gnädigst zu erlauben, mich fortan Allerhöchstdenselben gegenüber auf dem Fuße zu erhalten, auf dem der verewigte Monarch mir die freie Darlegung meiner Ansichten erlaubte! Oesterreich und Preußen sind berufen, die erhaltenden Mächte in der europäischen wie in der deutschen Richtung zu sein. Sie müssen sich verstehen, denn nur so können große Gefahren beschwichtigt werden. So lange das Herz noch gesund ist, gibt es Hoffnung für's Leben, und die beiden Reiche vertreten in Europa die Stelle des Herzens.

Geruhen Allerhöchstdieselben diese Ergießung in einem Momente drückender Last gnädig aufzunehmen und die Huldigung jener tiefen Verehrung zu genehmigen, mit der ich geharre Eurer Majestät unterthänig gehorsamer
Fürst Metternich.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite