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Ein Bündnis für Toleranz ruft zu Offenheit für Ausländer auf (30. Oktober 1991)

Um dem wachsenden Ressentiment gegen Neuankömmlinge zu begegnen, ruft ein „Bündnis gegen Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit“ aus Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Sportvereinen und Jugendgruppen aus Niedersachsen mit dem Schlagwort „Ohne Fremde sind wir allein“ zu Toleranz auf.

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„Ohne Fremde sind wir allein“

Kirchen, Gewerkschaften, Unternehmerverbände, Landessportbund, Landesjugendring und weitere Organisationen in Niedersachsen haben sich am Dienstag in Hannover zu einem „Bündnis gegen Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit“ zusammengeschlossen. Sie verständigten sich auf einen gemeinsamen Aufruf „Ohne Fremde sind wir allein“, der am kommenden Wochenende in allen niedersächsischen Zeitungen veröffentlicht werden soll.



Beteiligt an dem Bündnis sind auch die kommunalen Ausländervertretungen in Niedersachsen, der Landesschülerrat und Wohlfahrtsverbände wie das Rote Kreuz und die Arbeiterwohlfahrt, nicht aber die politischen Parteien, worüber es noch vor der Gründung des Bündnisses zu einem Streit kam.

Die Ausländerbeauftragte des Landes, Gabriele Erpenbeck (CDU), hatte die Parteien – im Einvernehmen mit Politikern der rot-grünen Landesregierung des Landes Niedersachsen – bewußt nicht eingeladen, aus wohlerwogenen Gründen: Vor der niedersächsischen Kommunalwahl vom 6. Oktober war die Ausländerpolitik zum beherrschenden Wahlkampfthema geworden.

Manche Kandidaten hatten mit ihren Parolen kräftig dazu beigetragen, ausländerfeindliche Stimmungen anzuheizen. Die rechtsextremistische Partei „Die Republikaner“, die sich ganz auf dieses Thema konzentriert hatte, zog überall, wo sie angetreten war, in die Kommunalparlamente in Niedersachsen ein.

Im niedersächsischen Landtag fanden die Regierungs- und Oppositionsfraktionen auch nach der Kommunalwahl trotz der zunehmenden Gewalttätigkeiten gegen Ausländer keine gemeinsame Position. Angesichts dieser Auseinandersetzungen zog es die Ausländerbeauftragte vor, die Parteien erst einmal beiseitezulassen – trotz scharfer Proteste aus der Opposition.

Nachdem am Dienstag das Bündnis geschlossen war, luden die Gründer sofort alle bisher nicht beteiligten Gruppen der Gesellschaft zur Mitwirkung ein. Der Aufruf wendet sich an „alle Menschen in unserem Land, die bereit sind, für gute Nachbarschaft und ein friedliches Zusammenleben einzutreten“. Sie werden aufgefordert, aktiv zum Schutz der Fremden und zur Isolierung derjenigen beizutragen, die aggressiv und brutal Menschen bedrohen.

Gewalt gegen Ausländer verletze die Menschenwürde und beschädige die Basis einer demokratischen und weltoffenen Gesellschaft. Die gegen Ausländer geschleuderten Molotow-Cocktails „treffen uns alle“, schreibt das Bündnis.

Weiter heißt es in dem Aufruf: „Die ausländischen Familien, die schon lange hier leben und unseren Wohlstand mitgeschaffen haben, gehören zu uns. Wir sind einander unentbehrlich geworden. Flüchtlinge, die bei uns Zuflucht suchen, haben Anspruch auf die Achtung ihrer Würde und auf ein gerechtes Verfahren. Mißachtung von Fremden und Gewalt gegen sie machen uns selber fremd in unserer Welt. Wir sind auf andere Menschen genau so angewiesen, wie sie es auf uns sind. Ohne Fremde sind wir allein.“

Das „Bündnis gegen Ausländerhaß und Fremdenfeindlichkeit“ will es nicht bei dem einmaligen Appell belassen. Wie die Ausländerbeauftragte des Landes als Koordinatorin des Bündnisses mitteilte, ist unter anderem bereits ein Plakatwettbewerb an den niedersächsischen Kunsthochschulen eingeleitet worden.

Papierfabriken, Druckereien und die Deutsche Städtereklame, die Werbeflächen vermietet, haben sich bereit erklärt, dafür zu sorgen, daß die Plakataktion unentgeltlich laufen kann. Geplant ist auch eine Ausstellung mit allen Plakatentwürfen. In Hannover soll in einigen Wochen eine große Kundgebung veranstaltet werden. Die verbündeten Organisationen verständigten sich auch darauf, im ganzen Land ihre Untergliederungen zu gemeinsamen örtlichen Aktivitäten aufzufordern.



Quelle: Eckhart Spoo, „Ohne Fremde sind wir allein“, Frankfurter Rundschau, 30. Oktober 1991.

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