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Die Kindheit eines Jungens in Köln um 1810 (Rückblick)

Ohne jegliche bürgerliche Voreingenommenheit und in einem liebenswerten Ton, der an Dickens erinnert, beschreibt Ernst Weyden das Leben einfacher Leute in seiner Geburtsstadt Köln. Er schildert eine von den Ideen und Bestrebungen der Aufklärung unberührte Subkultur, in der Beruf und Nachbarschaft sich mit Religion und Volksglauben kreuzten und so den engen Horizont der einfachen Leute definierten. Der Staat spielte nur entfernt eine Rolle, mit Ausnahme des gefürchteten Rekrutierungsoffiziers.

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Köln am Rhein vor 50 Jahren

Ernst Weyden


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Straßenleben.

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Unabsehbar sind die Reihen der Dreck- und Aschenhaufen in den Straßen, denn wurde auch die Asche und der Kehricht in den belebteren Straßen zum Abholen für den »Dreckmann« in Körben hingestellt, so war es aber eine Lieblings-Beschäftigung der Knaben, diese Körbe umzuwerfen, und zudem wurde aller nur denkbare und undenkbare Abfall und Unrath ungescheut vor den Häusern ausgeschüttet, der an manchen Stellen, selbst mitten in der Stadt oft hügelhoch angewachsen [ . . . ]

Gar oft beizt Dir in den gangbarsten Straßen scharfer Holzdampf die Augen; es sind die Faßbinder, welche auf der Straße ihre Fässer ausbrennen, wie sie denn überhaupt ihr Geschäft meist mit betäubendem Gehämmer auf offener Straße treiben. Dichter Kaffee- aber noch häufiger Cichorien-Dampf qualmt uns an manchen Orten erstickend entgegen, da man auch die Straße zum Kaffee- und Cichorien-Brennen benutzt [ . . . ]

Oft sehen wir auf den Plätzen, in den Straßen die Jugend heiße Schlachten fechten; denn feindselig standen sich die einzelnen Plätze, wie der Domhof, der Altenmarkt, der Heumarkt und der Augustinerplatz und die verschiedenen Schulen entgegen, und gar oft bricht dieser Haß unter den Knaben in wilde Treffen aus, bei denen Fenster und Straßenlaternen eben nicht verschont blieben, und welche häufig das Einschreiten der Policei nothwendig machten. Ein ewiger, unversöhnlicher Krieg bestand zwischen den Zöglingen der Secundär-Schule – früher Jesuiten-Gymnasium – der Boosch, wie die Kölner sagten, und den Schülern der umgränzenden Pfarrschulen, ein Haß, der sich bis in die freireichsstädtischen Zeiten verfolgen läßt, wo sich außerdem die so genannten Studenten der drei damals bestehenden Gymnasien stets in den Haaren lagen und die Zipfel ihrer Mäntel, in die selbst Steine geknüpft wurden, mit der größten Hartnäckigkeit gegen einander gebrauchten. Diese im Sommer sich oft wiederholende Knaben-Krawalle hatten die Folge, daß sich ein Knabe nicht ohne Begleitung aus seinem Bezirke in einen anderen wagte, weßhalb uns, außer unserer Nachbarschaft, dem Kirchspiel, das übrige Köln eine wahre Terra incognita war. [ . . . ]

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