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Das Glaubensbekenntnis politischer Grundsätze Leopolds II. (1790)

Leopold schrieb diese Zeilen (mit unsichtbarer Tinte) Anfang 1790 an seine Schwester, die Frau des Statthalters der Niederlande (die sich 1789/90 gegen die österreichische Herrschaft erhoben hatten). Joseph II. stand kurz vor dem Tod, und Leopold, bisher Großherzog der Toskana, bereitete sich auf die Thronfolge vor. Inmitten der französischen Revolution, des holländischen Aufstands und des besonders durch Josephs eigensinniges Reformprogramm ausgelösten ungarischen Aufruhrs wollte Leopold über seine Schwester ein Signal an die habsburgischen Regierungseliten senden, dass seine Politik sowohl liberal als auch gemäßigt sein würde. Der Text zeigt Leopolds Übernahme des Prinzips der monarchischen Herrschaft im Zusammenspiel mit den (privilegierten) Ständen und auf Grundlage von Rechtsstaatlichkeit. Leopolds Berufung auf „das Volk“ (das heißt, die gebildeten und besitzenden Kreise) als Ursprung monarchischer Legitimation verdeutlicht das beträchtliche Maß, in dem solche (ausdrücklich im 17. Jahrhundert von John Locke und Mitte des 18. Jahrhunderts von Jean-Jacques Rousseau vorgebrachten) vertragsrechtlichen Regierungstheorien das europäische Denken bis zum Beginn der französischen Revolution durchdrungen hatten. Leopolds verfrühter Tod 1792 gilt in der Geschichtsschreibung schon seit langem als tragischer Verlust für Österreich und sein Reich.

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Mein Glaubensbekenntnis ist, daß ich die katholische, apostolische und römische Religion aufrechterhalten, in ihr leben und sterben will; daß ich Personen keineswegs verfolgen, aber auch nicht befördern und auszeichnen will, die keine Religion haben oder das vorgeben, daß ich die Bischöfe unterstützen will, denen die Aufsicht über die disziplinären Angelegenheiten der Kirche zusteht. [ . . . ]

Ich glaube, daß der Souverän, selbst der erbliche, nur der Delegierte des Volkes ist, für das er bestellt ist und daß er diesem alle seine Sorgen, Mühen und Nachtwachen widmen soll; daß jedes Land ein Grundgesetz oder einen Vertrag zwischen dem Volk und dem Souverän haben soll, welches die Autorität und die Macht des letzteren beschränkt; daß wenn der Souverän dieses Gesetz nicht hält, er tatsächlich auf seine Stellung verzichtet, welche ihm nur unter dieser Bedingung verliehen wurde, und daß man nicht mehr verpflichtet ist, ihm zu gehorchen; daß die ausübende Gewalt dem Souverän, die gesetzgebende aber dem Volk und seinen Vertretern zusteht und daß dieses bei jedem Thronwechsel neue Bedingungen stellen kann. Daß der Souverän sich weder direkt noch indirekt in die Zivil- oder Kriminalgerichtsbarkeit einmischen, ihre Formen und Strafen nicht ändern, keine Aufträge und Delegierungen usw. erteilen darf; daß der Souverän dem Volke jährlich eine genaue Rechnung über die Verwendung der öffentlichen Einkünfte und Finanzen schuldet, daß er nicht das Recht hat, willkürlich irgendwelche Steuern, Zölle und Gebühren aufzuerlegen; daß nur das Volk selbst das Recht dazu hat, nachdem der Souverän ihm die Staatsnotwendigkeiten dargelegt und das Volk sie durch seine Vertreter als gerecht und vernünftig anerkannt hat; daß man sie nicht anders denn als Subsidien, für die Zeit eines Jahres, bewilligen darf und nachdem man ihre Notwendigkeit gesehen hat und daß die Nation sie nicht verlängern muß, bevor der Souverän nicht einen genauen, detaillierten und befriedigenden Bericht über ihre Verwendung abgelegt hat. Daß der Souverän Rechenschaft ablegen und die Zustimmung einholen muß über alle Systemänderungen, neuen Gesetze, usw., über die Pensionen und Gratifikationen, die er gewähren will, bevor er sie publiziert; daß die Anordnungen des Souveräns erst Gesetzeskraft erhalten und zum Gehorsam verpflichten nach der Zustimmung der Stände; daß das Militär nur zur Landesverteidigung verwendet werden darf und niemals gegen das Volk. Daß niemand verhaftet oder abgeurteilt werden darf, außer auf Befehl der ordentlichen Richter und nach den ordentlichen Formen und öffentlich, aber niemals durch irgendeinen willkürlichen Befehl, selbst nicht von seiten des Souveräns selbst. Ich glaube endlich, daß der Souverän nur durch das Gesetz regieren soll und daß dessen Schöpfer das Volk ist, welches niemals verzichten konnte noch durch irgendeine Verjährung oder schweigende oder erzwungene Zustimmung eines unverjährbaren Rechtes beraubt werden konnte, das das Recht der Natur ist und auf Grund dessen es eingewilligt hat, einen Souverän zu haben, das heißt, ihm einen Vorrang einzuräumen, damit er dessen Glück und Wohl bewirke, nicht wie er es will, sondern wie sie selbst es wollen und empfinden. Denn der einzige Zweck der Gesellschaften und Regierungen ist das Glück ihrer Individuen.

Das sind ungefähr meine Prinzipien. Ich könnte mich darüber noch mehr im Detail verbreitern, um die Beweise dafür zu liefern, aber das wäre zu lang und zu langweilig.




Quelle: Leopold II. Erzherzog von Österreich, Grossherzog von Toskana, König von Ungarn und Böhmen, Römischer Kaiser, Band II, 1780-1792. Herausgegeben von Adam Wandruszka. Wien und München: Herold, 1963-65, S. 216-19.

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