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Kaiser Joseph II., Anweisungen an alle Staatsbediensteten betreffend die Grundsätze zur Erfüllung ihrer Pflichten (13. Dezember 1783)

Diese in der öffentlichen Meinung als Josephs „Hirtenbrief“ gefeierte, langatmige Erklärung verlangte vom Staatsdiener in einem religionsdurchsetzten Diskurs „eine warme seele für des staats bestes und eine vollkommene entsagung seiner selbst und aller gemächlichkeiten.“ In diesen Anweisungen befahl Joseph zudem ein Ende der auf „Religion oder Nation“ basierenden Vetternwirtschaft. Doch als Anerkennung für fähige und rechtschaffene Beamten stellte er das Versprechen stark verbesserter Dienstbedingungen sowie Ruhestands-, Witwen- und Waisengeld in Aussicht.

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Drey jahre sind nun verflossen, dass ich die staatsverwaltung habe übernehmen müssen. Ich habe durch selbe zeit in allen theilen der administration meine grundsätze, meine gesinnungen und meine absichten mit nicht geringer mühe, sorgfalt und langmuth sattsam zu erkennen gegeben. Ich habe mich nicht begnügt, einmal eine sache nur zu befehlen, ich habe sie ausgearbeitet und entwikelt, ich habe die von vorurtheilen und eingewurzelter alter gewohnheit entsprungene umstände durch aufklärung geschwächet und mit beweisen bestritten. Ich habe die liebe, so ich fürs allgemeine beste empfinde, und den eifer für dessen dienst jedem staatsbeamten einzuflössen gesucht. Hieraus folgt nothwendig, dass von sich selbsten anzufangen man keine andere absicht in seinen handlungen haben müsse, als den nutzen und das beste der grössern zahl. Ich habe den chefs vertrauen geschenket und gewalt eingeräumt, damit sie sowohl auf die gesinnungen ihrer untergebenen, als in der that wirken können. Die auswahl der personen ist ihnen ganz und gar frey gelassen worden. Vorstellungen und beygebrachte ursachen, dann die allemal schätzbare wahrheiten habe ich von chefs, so wie von jedermann immer mit vergnügen aufgenommen: täglich und stündlich war ihnen meine thür offen, theils um ihre vorstellungen anzuhören, theils ihre zweifel aufzuklären. Nun erachte ich meiner pflicht und derjenigen treue gemäss, so ich dem staat in allen meinen handlungen lebenslänglich gewidmet habe, dass ich ernstgemessenst auf die erfüllung und ausübung aller ohne ausnahme von mir gegebenen befehlen und grundsätzen halte, welche ich bis jetzo nicht ohne leidwesen so sehr vernachlässiget sehe. Dass zwar viel befohlen und auch expedirt, aber auf die befolg- und ausübung auf keine art gesehen wird, daraus entstehet, dass so viele wiederholte befehle erfolgen müssen und man dennoch von nichts versichert ist, ja nur die meisten in so weit handwerksmässig die geschäfte behandlen, dass nicht mit dem absehen, das gute zu erwirken und die leute von demselben zu belehren, zu werke gegangen, sondern nur das höchstnothwendige geleistet werde, um nicht in einen prozess zu gerathen und die cassation zu verdienen.

Auf diese mechanisch-knechtische art ist es unmöglich, mit nutzen die geschäfte zu betreiben. Wer bey einer hofstelle oder in einem lande ein chef, vicepraesident oder kanzler, rath, kreishauptmann, obergespann, vicegespann oder vorsteher was immer für einer gattung geistlich-, weltlich- oder militarstandes seyn oder verbleiben will, muss

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