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Erzherzog Joseph II., „Politische Tagträume” [Rêveries politiques] (1763)

Ursprünglich auf Französisch verfasst, ist das folgende Dokument ein früher vertraulicher Aufsatz des zukünftigen Kaisers Joseph II. (herrschte als Mitregent mit seiner Mutter Maria Theresia 1765-80 und als alleiniger Kaiser 1780-90). Er bringt seine robuste „absolutistische“ Auffassung von Staatsmacht zum Ausdruck, besonders über und gegen die Interessen des „großen“ oder Magnatenadels. Doch befürwortet er auch Verhandlungen mit den von Eliten beherrschten Landständen und eine monarchische Herrschaft durch strukturierte Bürokratie und ein Ministerialkabinett.

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Die beiden grundlegenden Prinzipien, nach denen man handeln soll, sind die unumschränkte Macht, für den Staat alles Gute tun zu können, und das Mittel, diesen Staat ohne fremde Hilfe zu unterhalten. Um diese beiden Ziele zu erreichen, würde ich befürworten,

1. die Großen herabzusetzen und ärmer zu machen, da ich es nicht für sehr nützlich halte, daß es kleine Könige und reiche Untertanen gibt, die in Wohlstand leben, ohne sich darum zu sorgen, was aus dem Staat wird. Ich sehe es als Grundsatz an, daß jeder Mensch in seiner Eigenschaft als Untertan den Staat, der ihn unterhält, schützt und ihm sein Recht gewährleistet, seine Dienste bei den Aufgaben schuldet, zu denen ihn der Staat, dessen Wortführer der Herrscher ist, für fähig hält, nicht aber nach seinen Bequemlichkeiten und dem eigenen Behagen. Da aber die Menschen nicht mehr für die Ämter gemacht sind, muß man diese nach ihnen ausrichten. Das riecht nach Despotismus, aber ohne die bereits oben erwähnte absolute Macht, all das tun zu können, woran man durch Vorschriften, Satzungen und Eide, die die Länder für ihr Palladium halten und die sich, vernünftig betrachtet, nur zu ihrem Nachteil auswirken, gehindert wird – ohne diese unumschränkte Macht ist es weder für einen Staat möglich, glücklich zu sein, noch für einen Herrscher, Großes zu vollbringen. Ich erachte es als ein Prinzip, daß zur Lenkung der großen Maschine ein einziger Kopf, selbst ein mittelmäßiger, besser ist als zehn ausgezeichnete, wenn es zwischen ihnen über alle Maßnahmen zu einer Verständigung kommen muß. Gott bewahre mich davor, Schwüre, die ich geleistet habe, zu verletzen, aber ich glaube, daß man versuchen muß, die Länder zu überzeugen und ihnen verständlich zu machen, in welchem Maße ihnen die eingeschränkte Monarchie, wie ich sie vorschlage, nützlich ist. Deshalb würde ich vorsehen, mit den Ländern ein Abkommen auszuhandeln, indem ich sie auf zehn Jahre um die uneingeschränkte Macht bäte, alles für ihr Wohl tun zu können, ohne ihre Zustimmung einzuholen. Das zu erreichen wird große Mühe kosten, aber ich halte den Moment zu dieser Stunde für günstig, und die Erfahrung wird ihnen die Nützlichkeit zeigen. Viele Einzelpersonen werden darüber nicht froh sein, aber die Mehrheit der Nation ist dieser Gruppe vorzuziehen.

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