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Maria Theresias Politisches Testament (1749-50)

Der außergewöhnliche Charakter dieses Dokuments rechtfertigt seine ausführliche Wiedergabe an dieser Stelle. Der Text kommt einer politischen Autobiografie Maria Theresias gleich. Nach dem unerwarteten Tod ihres Vaters Karls VI. im Jahr 1740 bestieg eine schlecht vorbereitete, 23-jährige Maria Theresia den österreichischen Thron, nur um sich unmittelbar mit dem skrupellosen Angriff Friedrichs II. („der Große“) von Preußen gegen den Habsburgerstaat konfrontiert zu sehen. Österreich überstand die Zerreißprobe, doch um den Preis der Abtretung Schlesiens, eines seiner reichsten Territorien, an Preußen. Hier präsentiert Maria Theresia ihre erfahrenen Ansichten über die Stärken und Schwächen ihrer leitenden Minister und die Fehler ihrer Habsburger Vorgänger bei der Einräumung übermäßiger Machtfülle an die katholische Kirche und die von Adligen beherrschten Landstände. Das vorliegende Dokument offenbart, dass die Herrscher im frühneuzeitlichen Europa eine Gratwanderung vollführten, mit den Abgründen der bürokratischen, kirchlichen und adligen Eigeninteressen auf der einen und jenen der Unzufriedenheit im Volk und finanzpolitischer Schwäche auf der anderen. In einer militärischen Krise wie jener, die sich im Jahre 1740 entlud, riskierte ein Staat, der diese innenpolitischen Kräfte nur unzureichend ausbalancierte, den Zusammenbruch. Nach Auffassung der frommen Kaiserin war es nur göttliche Gnade, die im Falle Österreichs diesen Ausgang verhütete.

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Erste Denkschrift


Aus mütterlicher Wohlmeinung zu besonderen Nutzen meiner Posterität verfaßte INSTRUCTIONS-PUNCTA, welche nach ihrer Wichtigkeit in verschiedene Abhandlungen abzusondern erachtet.

Die erstere solle enthalten den Zustand der Monarchie, wie solche bei Antritt meiner Regierung so in denen innerlichen als äußerlichen Verfassungen befunden.

Die andere die Mißbräuche, so bei dieser österreichischen Monarchie unter meinen Vorfahren nach und nach eingeschlichen.

Die dritte die Maßreguln, welche in dem neun Jahr gedauerten, so beschwerlichen letzten Krieg beobachtet und durch welcherlei Ursachen bewogen worden, demjenigen, so da geschehen, die Hand zu bieten.

Die vierte jene nach erfolgtem Generalfrieden veranlaßte Veränderung in der inneren Verfassung bei denen Hofstellen und in denen Ländern, welche mit dem zur Erhaltung der Monarchie festgestellten Systemate vereinbaret worden.

Die fünfte der aus diesfälliger neuen Einrichtung der Posterität zufließende Nutzen, da solches das einzige Mittel, die Monarchie zu befestigen und bei meiner Nachkommenschaft zu erhalten.

Die sechste die Notwendigkeit, solche festgestellte Einrichtungen zu Abwendung des eigenen Untergangs beizubehalten, und welcherlei Maximen sich meine Nachfolger zu dessen Erreichung zu gebrauchen haben.

Da sich der unvermutete betrübliche Todesfall meines Herrn Vatters höchstseligster Gedächtnüs ereignet und vor mich umb so viel mehr schmerzlich ware, weilen nicht allein selben verehret und geliebet als einen Vattern, sondern als wie die mindeste Vasallin als meinen Herrn angesehen und also doppelten Verlust und Schmerzen empfunden und damahlen die zu Beherrschung so weitschichtiger und verteilter Länder erforderliche Erfahr- und Kenntnüs umb so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niemals gefällig ware, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäften beizuziehen noch zu informieren: so sahe mich auf einmal zusammen von Geld, Truppen und Rat entblößet.

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