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Helmuth von Moltke: Memorandum zur Wirkung der verbesserten Feuerwaffen auf die Taktik (1861)

Hinsichtlich der militärtaktischen und -technologischen Veränderung der Kriegsführung, insbesondere der verbesserten Feuerkraft des Zündnadelgewehrs und der Artillerie, legte der erste Chef des preußischen Generalstabs, Helmuth von Moltke (1800-1891), 1861 das hier wiedergegebene Memorandum vor. Moltke, der in der Folge der bedeutendste Militärführer des frühen deutschen Kaiserreichs wurde, hatte bereits am Sieg der preußischen Truppen gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866) maßgeblichen Anteil. Sein umfassendes System vorbereitender Kriegsmaßnahmen ermöglichte es Preußen, 1870-1871 Frankreich zu besiegen.

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Bemerkungen vom April 1861 über den Einfluß der verbesserten Feuerwaffen auf die Taktik.

Es ist allgemein anerkannt, daß die große Verbesserung der Schußwaffen in künftigen Kriegen eine wesentliche Veränderung in der Fechtart nach sich ziehen muß.

Wirkliche Erfahrungen liegen noch nicht vor, weil in den letzten Feldzügen die Waffen ihre jetzige Vervollkommnung noch nicht erreicht hatten und auf einem Terrain zur Anwendung kamen, welches vorzugsweise geeignet ist alle Feuerwirkung auf große Entfernung auszuschließen.

Der Einfluß der neuen Schußwaffe auf die Taktik ist daher nur theoretisch aus deren Natur und Eigenthümlichkeit abzuleiten. Sie erfordert: Sichtbarkeit des Zieles, Kenntniß der Entfernung und ruhige Abgabe des Feuers.

Sind diese Bedingungen gegeben, so schießt das Preußische gezogene Geschütz, soweit das menschliche Auge einen Gegenstand noch deutlich zu erkennen vermag, d. h. auf 2500 Schritt, und innerhalb dieser Entfernung auf alle Distanzen mit ungefähr gleicher Sicherheit des Treffens. Ein Trupp Menschen oder Pferde, ein Geschütz bilden Zielobjekte, welche bei zwei Schüssen mindestens einmal getroffen werden. Mit dieser gesteigerten Trefffähigkeit vereint das Geschütz eine erhöhte Wirksamkeit seiner Geschosse durch Perkussion und Explosion derart, daß es einem geschlossenen Trupp unmöglich wird in dem Feuer einer gezogenen Batterie auf eine Viertelmeile Entfernung halten zu bleiben.

Der Feind findet in der freien Ebene nur in der Bewegung und in der zerstreuten Formation einen Schutz.

Das Preußische Infanteriegewehr verbindet mit seiner großen Trefffähigkeit bis 600 Schritt noch die Möglichkeit eines außerordentlich schnellen Feuers, ein unleugbarer Vortheil, wenn dessen Anwendung für die wirklich entscheidenden Momente des Gefechts aufgespart wird. Innerhalb dieser erweiterten Wirkungssphäre der Infanterie können selbst aufgelöste Schwärme des Feindes stillstehend und ungeschützt nicht ausdauern.

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