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Samuel Pufendorf, Die Verfassung des deutschen Reiches (1667)

Diese kurzen Auszüge aus einem berühmten und einflussreichen Werk unterstreichen die politischen Spaltungen im Heiligen Römischen Reich. Der Verfasser, Samuel Pufendorf (1632-1694), offenbart Voreingenommenheit gegenüber dem Katholizismus und dem Reich, ebenso wie Kritik gegenüber dem Adel und den Städten. Er beruft sich auf „das Vaterland“ und unterstützt ein höheres Maß an militärischer Selbstverteidigung seitens des Reiches. Unklar bleibt seine Einstellung hinsichtlich der Legitimationstiefe einzelstaatlicher Souveränität innerhalb des Reiches.

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[ . . . ] Es bleibt uns also nichts anderes übrig, als das deutsche Reich, wenn man es nach den Regeln der Wissenschaft von der Politik klassifizieren will, einen irregulären und einem Monstrum ähnlichen Körper zu nennen, der sich im Laufe der Zeit durch die fahrlässige Gefälligkeit der Kaiser, durch den Ehrgeiz der Fürsten und durch die Machenschaften der Geistlichen aus einer regulären Monarchie zu einer so disharmonischen Staatsform entwickelt hat, daß es nicht mehr eine beschränkte Monarchie, wenngleich der äußere Schein dafür spricht, aber noch nicht eine Föderation mehrerer Staaten ist, vielmehr ein Mittelding zwischen beiden. Dieser Zustand ist die dauernde Quelle für die tödliche Krankheit und die inneren Umwälzungen des Reiches, da auf der einen Seite der Kaiser nach der Wiederherstellung der monarchischen Herrschaft, auf der anderen die Stände nach völliger Freiheit streben. Es ist aber die Natur aller Degenerationen, daß ein Staat, wenn er sich schon weit vom ursprünglichen Zustand entfernt hat, in schnellem Niedergang wie von selbst sich dem anderen Extrem nähert, während er sich nur mit großer Anstrengung auf seine Urform zurückführen läßt. Wie man einen Felsen, der einmal ins Rollen gekommen ist, sehr leicht vom Berg in die Ebene hinunterbringt, aber nur mit ungeheurer Anstrengung auf den Gipfel hinaufwälzt, so wird man auch Deutschland nicht ohne größte Erschütterungen und ohne totale Verwirrung der Verhältnisse zur monarchischen Staatsform zurückführen können; zum Staatenbund entwickelt es sich dagegen von selbst. Wenn man von der gegenseitigen Renitenz des Kaisers und der Stände absieht, dann ist es schon jetzt eine Föderation von Bundesgenossen ungleichen Rechts, indem die Stände die Hoheit des Kaisers gebührend anzuerkennen und zu ehren haben. Als Beispiel für eine Vereinigung freier Staaten kann das Bündnis zwischen Rom und den Latinern gelten, ehe sie von Rom in ein Untertanenverhältnis gezwungen wurden; ebenso beruhte auf einem Kriegsbündnis die Feldherrnwürde Agamemnons im griechischen Heer während des Trojanischen Krieges. Gewöhnlich tritt freilich der Fall ein, daß der Führer eines Bundes seine Macht so vergrößert, daß er die schwächeren Bundesgenossen mit der Zeit als Untertanen behandelt.

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