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Antrag des Herzogtums Nassau auf völlige Emanzipation der Juden (1846)

Das Parlament des Herzogtums Nassau debattierte im Mai 1846 im Zusammenhang mit einer Appellation an den Staat die Gewährung gleicher staatsbürgerlicher Rechte für die Juden. Als frühes Pendant zu Parlamentsverhandlungen in anderen deutschen Staaten in der 1848er Revolution verdeutlicht die Debatte die von den Abgeordneten geäußerten unterschiedlichen Ansichten sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen des Staatsbürgerrechts als auch der Frage, in welchem Umfang die Juden in Nassau diese Normen erfüllten.

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Begründung des Antrags auf völlige Emanzipation der Juden.

Meine Herren! Der gegenwärtige Landtag hat unter günstigen Auspizien begonnen. Ehrenwert hat die Staatsregierung sich bewiesen, indem sie den Wahlen volle Freiheit gelassen, sich jeder Einwirkung auf dieselben enthalten und dadurch gezeigt hat, daß sie die öffentliche Meinung zu achten und anzuerkennen wisse. Die Kammer hat, indem sie auf vollständige Veröffentlichung ihrer Protokolle drang und, wie man wohl annehmen darf, für Öffentlichkeit und Mündlichkeit in Rechtssachen sowie für Schwurgerichte sich aussagen wird, nicht minder bewiesen, daß sie, eben weil konstitutionell-monarchisch, darum auch freisinnig gesinnt und von der Überzeugung durchdrungen sei, daß die Anerkennung gerechter Ansprüche die sicherste Stütze und der schönste Glanz der bestehenden Institutionen sei. In der Tat ist gesetzmäßige Freiheit der zuverlässige Schutz gesetzmäßiger Ordnung, verbürgt Gerechtigkeit gegen alle am besten, die Liebe aller zu dem Staate und Fürstenhause, dem sie angehören, wie zu dem großen Vaterlande, dem sie verpflichtet sind, Gut und Blut zu weihen. Diese Gerechtigkeit ist in unserm Staate den Bekennern des jüdischen Glaubens noch nicht geworden, diese gesetzmäßige Freiheit fehlt ihnen in bedeutendem Maße, und der Gegenstand meines Antrags ist: hohe Staatsregierung um einen Gesetzvorschlag zu ersuchen, durch welchen dieser Mißstand aufgehoben und die Juden in Nassau gegen Übernahme der vollen Bürgerpflichten des vollen Genusses der Bürgerrechte teilhaftig werden. Zur Begründung dieses Antrags erlaube ich mir, Sie auf die Beschränkungen aufmerksam zu machen, welchen die Juden bei uns unterworfen sind, zugleich einen Blick auf ihren gesetzlichen und faktischen Zustand in Deutschland und andern Ländern zu werfen und an der Hand der Erfahrung allenfallsigen Einwendungen zu begegnen. Der erste Teil meiner Aufgabe ist nun, ich gestehe es, fast peinlich für mich. Daß in einem Lande, dessen Staatsregierung wie dessen Bewohner sich durch hohe Intelligenz auszeichnen, ein Eingeborner, bloß weil er von jüdischen Eltern abstammt, nur einen Sohn erzeugen könne, der eine Familie gründen darf, während die andern Söhne alle schon bei der Geburt verdammt sind, der reinsten Freuden des Familienlebens beraubt, ehe- und kinderlos, ein wüstes, unsittliches Leben zu führen, das ist gewiß weder mit Ehren zuzugestehen noch mit Wahrheit zu leugnen. Zu allen Zeiten hart und ungerecht, muß dieses Gesetz heutzutage, wo die Gesetzgebung auch bei uns in Deutschland größtenteils weit über solche Matrikelbestimmungen für die Juden hinaus ist, noch weit drückender und eher verletzender erscheinen als früher. In Bayern, einem der wenigen Staaten, wo es noch besteht, haben die eben jetzt versammelten Kammern mit großer Mehrzahl dessen Abschaffung beantragt. In demselben und fast in noch schlimmerem Geiste ist die bei uns noch immer bestehende Verfügung, welche dem Juden das Recht nimmt, zugunsten eines andern Juden gegen einen Christen Zeugnis abzulegen. Wo das Gesetz eine solche Immoralität voraussetzt, da erzeugt es sie, und zwar, was noch schlimmer ist, bei den Christen nicht minder. Ein solches Gesetz ist die Sanktion jeder Unbill, die den Juden

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