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Parteienzusammenschlüsse (6. Juli 1990)

Der Autor diskutiert die Unterschiede zwischen den Parteien im Osten und Westen des Landes und die Probleme, die sich aus ihrem bevorstehenden Zusammenschluss ergeben. Dazu gehören unterschiedliche Mitgliederstärken, finanzielle Ressourcen, aber auch ideologische Unterschiede.

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Neues Blut für alte Parteien


Den Grünen war die „andere Wirklichkeit“ schon beim Perspektivkongreß Mitte November bewußtgemacht worden. „Ich finde euch ja alle ganz nett, ganz lustig, ganz bunt“, hatte ihnen Katrin Eigenfeld aus Halle, Mitbegründerin des Neuen Forums, gesagt. „Aber ich verstehe nicht einmal eure Sprache.“ Auf dem Dortmunder Parteitag sprach die „Realo“-Grüne Ruth Hammerbacher von einer „anderen Wirklichkeit“ im zukünftigen Gesamtdeutschland – und die, mutmaßten viele Delegierte, werde wohl auch die Partei verändern.

Nicht nur die Grünen. Die „andere Wirklichkeit“ wird alle Bundesparteien einholen, wenn sie jetzt eilig die Fusion mit ihren „Schwestern“ in der DDR betreiben. Ob SPD, CDU oder FDP: Sie alle stehen vor inneren Veränderungen.

„Demnächst können wir unsere eigenen Kirchentage abhalten“, sagte am Vorabend des Hallenser SPD-Parteitags ein Politiker aus der Bundesrepublik, der seit einem halben Jahr die Schwesterpartei in Ost-Berlin berät. Einen Tag später brachen die Delegierten zwar mit dem mißliebigen Image der „Pfarrerpartei“ und wählten Wolfgang Thierse zum Vorsitzenden, der immerhin eine Lehre als Schriftsetzer hinter sich hat, nicht einen der beiden Pastoren, die der Parteivorstand vorgeschlagen hatte. Thierse tritt in offenem Hemd ohne Krawatte auf.

Damit aber hat die Ost-SPD noch lange nicht ihr Hauptproblem gelöst: Sie ist keine Arbeiterpartei. Wie auch bei einer Mitgliedschaft von kümmerlichen 30 000, mit der die Partei bei den Kommunalwahlen nicht einmal flächendeckend hatte antreten können? Bei der Volkskammerwahl, so mahnt Vorstandsmitglied Kamilli, haben 58 Prozent der Arbeiter die „Allianz für Deutschland“ gewählt, hauptsächlich also die CDU. Die greise Käthe Woltemathe aus Rostock schrieb an ihre Partei: „Die SPD hat mit dem Volk nichts mehr im Sinn.“

Da wird Bodenhaftung angemahnt. Doch bei der gegenwärtigen Mitgliederstruktur der SPD in der DDR wird eine Fusion im Gegenteil den Einfluß der Intellektuellen in der Partei und das protestantische Element verstärken. Das mag sich erst allmählich verändern, wenn der Auf- und Ausbau der neuen Gewerkschaften wahrscheinlich auch der DDR-SPD Mitglieder zuführt.

Bislang beginnt die SPD nach einem Aderlaß von rund 6000 Parteiaustritten auf einer schmalen Basis. Das erklärt den Jubel unter den Delegierten, nachdem der Parteitag in Halle den Beschluß von Leipzig (Februar 1990) geändert und die Mitgliedschaft für ehemalige Angehörige anderer Parteien geöffnet hatte. Zwar wurde bei der Begründung ganz allgemein von ehemaligen Mitgliedern der Blockparteien gesprochen. Im Hinblick auf die Betriebsratswahlen dürfte es aber vor allem um diejenigen früheren Angehörigen der SED (jetzt PDS) gehen, die in Belegschaften über Ansehen verfügen. Nicht von ungefähr warnte in Halle Angelika Barbe vom Parteivorstand vor der Besetzung des Themas Abtreibung durch die PDS. Daraufhin nahmen die Delegierten den Antrag „Recht auf Selbstbestimmung der Schwangerschaft“ an.

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