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Das Beispiel Sket (21. Dezember 1992)

Am Beispiel des Schwermaschinenbaukombinats Sket in Magdeburg wird der Überlebenskampf eines einstmals traditionsreichen Industriewerks geschildert. Durch den Wegfall des Absatzmarktes im Osten Europas musste der Betrieb saniert und Arbeitskräfte abgebaut werden. Proteste der Arbeiter erzwangen ein neues Sanierungskonzept. Von dem Großbetrieb wird jedoch nur noch ein Mittelstandsbetrieb überbleiben.

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„Weg mit dem Wessismus“

Sket war einmal ein traditionsreiches Kombinat, künftig wird es nicht mehr sein als ein mittelständischer Betrieb. Die verbliebenen Arbeiter kämpfen um ihren Arbeitsplatz und gegen unsensible Westimporte in der Chefetage.



Eines Morgens war Meister Proper weg. Kollege Freimut Hengst fand ihn schließlich in Halle FG 50. Dort lag der Meister wie im Tiefschlaf. Der bullige Kahlkopf ruhte auf zwei Matratzen, der riesige Körper war mit Packpapier zugedeckt. Nur die machtvolle Faust, geballt zum Arbeiterkampfgruß, ragte hinter den Kisten hervor.

Seit 1986 hatte der aufrechte Meister Proper vor dem Werkstor des Magdeburger Schwermaschinenbaukombinats Sket gewacht. Ernst Thälmann, wie der Meister im proletarischen Leben hieß, war der Namenspatron eines der größten Industrie-Kombinate der DDR.

Das drei Meter hohe Denkmal von Gerhard Rommel zeigte den kommunistischen Arbeiterführer aus Hamburg erstmals ohne seine Mütze. Das war damals ein künstlerisches und politisches Wagnis. Mit nackter Faust und nacktem Haupt sah der Proletarier dem properen Saubermann aus dem Westen fatal ähnlich.

Aber irgendwie mochten die Thälmann-Werker ihren roten Riesen. „Da hat keiner mehr gefragt, wer Thälmann war“, meint das Betriebsratsmitglied Hengst, „das war ein Symbol der Identifikation der Belegschaft mit dem Betrieb.“ Das plötzliche Verschwinden ihres alten Meisters ist für die Sket-Arbeiter zu einem Vorzeichen für den drohenden Untergang ihres ganzen Unternehmens geworden.

Von einst 30 000 Werktätigen in acht Kombinatsbetrieben sind noch knapp 6000 Leute in der neuen Sket AG beschäftigt. Allein in Magdeburg arbeiteten zur Wendezeit 13 000 Thälmann-Werker. Jetzt sind im Stammwerk noch 3600 auf der Lohnliste.

Auch das sind noch zuviel. Bei der gegenwärtigen Auftragslage würde weniger als die Hälfte dieser Belegschaft gut ausreichen. Dem Abbau des Arbeiterführers muß der Abbau der Arbeitsplätze folgen.

Der Fall von Sket ist tief. Das Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann war einmal der Stolz der Stadt. Magdeburgs größter Arbeitgeber grüßt den Fremden schon an der vierspurigen Schnellstraße zum Zentrum mit einer glitzernden Metallsäule, auf der das Firmenzeichen wie ein Stadtwappen prangt.

Die alte Einheit von Stadt und Sket bildet noch immer den Kern in den Reden des Betriebsratsvorsitzenden Claus-Jürgen Wieblitz: „Stirbt Sket, dann stirbt die Region – aus Magdeburg wird Magdedorf.“

Größe und Geschichte machen Sket zu einem jener „industriellen Kerne“, die neuerdings unter dem persönlichen Schutz von Bundeskanzler Helmut Kohl stehen. „Die Zukunft von Sket wird gesichert“, verspricht auch Horst Rehberger, der Wirtschaftsminister Sachsen-Anhalts.

Doch wie groß der Kern zukünftig sein soll, das ist die Frage. Die Kernfrage, sagt der Aufsichtsratsvorsitzende Bernd Kosegarten, ist „die Zerreißprobe zwischen Betriebswirtschaft und Politik“.

Der Hamburger Unternehmensberater schickte Anfang Oktober einen neuen Vorstandsvorsitzenden in diese Zerreißprobe. Der Manager mit dem programmatischen Namen Karl-Wilhelm Marx stürzte als erstes Thälmann vom Sockel und verkündete dann ein neues Sanierungskonzept. Nur noch mit etwas über 1000 Beschäftigten in Magdeburg sei Sket wettbewerbsfähig. Damit hatte Marx das Signal zum Aufstand der Arbeiter gegeben.

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