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Analyse des amerikanischen Außenministeriums zur sowjetischen Berlin-Note (7. Januar 1959)

In Reaktion auf das Berlin-Ultimatum der Sowjetunion vom 27. November 1958 und den Vorwurf der Vertragsverletzung durch die Westmächte legt das amerikanische Außenministerium im Januar 1959 ein ausführliches Memorandum vor, das zu einer scharfen Abrechnung mit der sowjetischen Deutschlandpolitik seit den 1920er Jahren gerät. Die Amerikaner erinnern zunächst an die engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und dem NS-Regime, die bis wenige Wochen vor dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 anhielten, und an die vorbehaltlose Unterstützung Stalins durch die Westmächte im Kampf gegen Deutschland zwischen 1941 und 1945. Während die Westalliierten sich nach 1945 um eine Fortsetzung der Zusammenarbeit und eine gemeinsame Deutschlandpolitik bemüht hätten, sei es der Sowjetunion von Anfang an um die Ausbreitung des Kommunismus und die Errichtung von Satellitenstaaten in Osteuropa und in Ostdeutschland gegangen. Dabei seien die im Potsdamer Abkommen festgelegten positiven Grundsätze, Deutschland als wirtschaftliche Einheit zu behandeln und wiederaufzubauen, von den Sowjets regelmäßig unterlaufen worden. Im Unterschied zur Bundesrepublik seien die DDR und ihre Regierung in Ost-Berlin niemals demokratisch legitimiert worden, sondern sie seien das Ergebnis sowjetischer Anordnungen. Auch der Vorwurf einer vertragswidrigen Remilitarisierung Westdeutschlands wird unter Hinweis auf die frühzeitig aufgebauten starken ostdeutschen Militär- und Polizeikräfte und die vertraglich festgelegten Beschränkungen des westdeutschen militärischen Engagements von den Amerikanern zurückgewiesen.

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I. Die Vorkriegsentwicklung

Die sowjetischen Behauptungen:
In der sowjetischen Note heißt es, vor dem zweiten Weltkrieg habe die Sowjetunion beständig ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den anderen Mächten im Interesse des Widerstandes gegen die Hitler-Aggression bekundet, und wenn sich die Westmächte nicht der kurzsichtigen Hoffnung hingegeben hätten, Hitler nach dem Osten ablenken zu können, statt mit der UdSSR zusammenzuarbeiten, wären Millionen von Menschenleben erhalten geblieben. Die Note führt aus:

Es ist allgemein bekannt, daß die USA ebensowenig wie Großbritannien und Frankreich sofort die Notwendigkeit einsahen, mit der Sowjetunion zum Zwecke der Abwehr der Hitler-Aggression zusammenzuarbeiten, obwohl von seiten der Sowjetregierung die Bereitschaft dazu ständig zum Ausdruck gebracht worden war [ . . . ]
Bei einer weitsichtigeren Politik der Westmächte hätte eine solche Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion, den USA, Großbritannien und Frankreich bedeutend früher, gleich in den ersten Jahren nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, hergestellt werden können, und dann hätte es keine Besetzung Frankreichs, kein Dünkirchen und kein Pearl Harbor gegeben. Dann wäre es möglich gewesen, Millionen von Menschenleben zu bewahren, die von den Völkern der Sowjetunion, Polens, Jugoslawiens, Frankreichs, Großbritanniens, der Tschechoslowakei, der USA, Griechenlands, Norwegens und anderer Länder zur Bändigung der Aggressoren geopfert wurden [ . . . ]
Offenbar haben die bitteren Lehren des mörderischen Krieges bei gewissen Staatsmännern des Westens nichts gefruchtet, die von neuem die notorische München-Politik der Aufstachelung des deutschen Militarismus gegen die Sowjetunion, die noch vor kurzem ihr Waffengefährte war, betreiben.

Dies sind die Tatsachen:
1. Die UdSSR nahm im Jahre 1923 diplomatische Beziehungen zu Deutschland auf und leistete Hilfestellung beim Aufbau einer neuen deutschen Kriegsmaschinerie, den der Versailler Vertrag nach dem ersten Weltkrieg verboten hatte.
2. In der Zeit von 1930 bis 1933 gab die Sowjetunion über ihren internationalen kommunistischen Apparat, die Komintern, der Kommunistischen Partei Deutschlands Anweisung, mit den Nazis und anderen Extremisten bei der Unterminierung der deutschen Weimarer Republik zusammenzuarbeiten. Sie half mit, demokratische Parteien und Institutionen zu sabotieren, und leistete der Mißachtung von Recht und Ordnung Vorschub. Dies kam Hitler bei seinem Aufstieg zur absoluten Macht zugute.
3. Im Jahre 1933, nach Hitlers Machtergreifung, ratifizierten die UdSSR und Deutschland die Verlängerung eines Neutralitätsabkommens.
4. Die UdSSR unterzeichnete zwischen 1922 und 1933 sechs Kredit- und Handelsabkommen mit Deutschland. Als sich Hitlers Position nach 1933 festigte, schloß die UdSSR weitere 12 Abkommen mit dem Naziregime, während Hitler in dieser Zeit seine Militärmacht aufbaute.
5. Die UdSSR zog sich im August 1939 von den Verhandlungen mit Großbritannien und Frankreich zurück, um die Molotov-Ribbentrop-Abkommen abzuschließen, die die für eine koordinierte nazistisch-sowjetische Aggression in Osteuropa erforderlichen Garantien enthielten und den zweiten Weltkrieg auslösten.
6. Ungeachtet der Warnungen der Westmächte vor dem bevorstehenden deutschen Überfall unterstützte die Sowjetregierung Nazideutschland bis zum Einmarsch Hitlers in die UdSSR im Jahre 1941.
7. Im April 1941 unterzeichnete die UdSSR einen Neutralitätspakt mit den japanischen Bundesgenossen Hitlers und ebnete damit den Weg für den Überfall auf die USA in Pearl Harbor am 7. Dezember 1941.
8. Die USA, Großbritannien und Kanada versorgten die UdSSR während des Krieges mit großen Mengen kriegs- und lebenswichtiger Güter. Diese Hilfeleistung verlieh der prompten politischen Unterstützung Nachdruck, die die Vereinigten Staaten seit dem ersten Tage nach dem Hitler-Überfall im Juni 1941 Sowjetrußland zuteil werden ließen.

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