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Berliner Erklärung der drei Westmächte und der Bundesrepublik zur Wiedervereinigung (29. Juli 1957)

Im Juli 1957 ist die feste Eingliederung der Bundesrepublik und der DDR in die jeweiligen Bündnissysteme in West und Ost eine Tatsache. Die Wiedervereinigung Deutschlands scheint damit in weite Ferne gerückt zu sein. Die drei Westmächte und die Bundesregierung bekräftigen zwar am 29. Juli 1957, an dem Ziel eines einheitlichen Deutschlands festzuhalten und mahnen die Mitverantwortung der Sowjetunion als vierter Siegermacht dafür an. Zugleich machen sie aber auch erneut deutlich, dass freie Wahlen in ganz Deutschland der erste Schritt sein müssen und dass es keine Einschränkungen darüber geben darf, ob und welchen Bündnissen – einschließlich der NATO – ein wiedervereinigtes Deutschland beitreten kann.

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Zwölf Jahre sind seit dem Ende des Krieges vergangen. Die Hoffnungen der Völker der Welt auf einen gerechten und dauerhaften Frieden haben sich jedoch nicht erfüllt. Einer der Hauptgründe dafür, daß es zu keiner Verständigung kam, ist die fortgesetzte Spaltung Deutschlands, die eine schwere Ungerechtigkeit dem deutschen Volk gegenüber und zugleich die Hauptquelle der internationalen Spannung in Europa ist.

Die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, die mit der Sowjetunion gemeinsam für die Wiedervereinigung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages verantwortlich sind, und die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, die als einzige Regierung für das ganze deutsche Volk zu sprechen berechtigt ist, wünschen ihre Auffassung von diesen Fragen, einschließlich der Frage der europäischen Sicherheit, darzulegen und die Grundsätze zu erläutern, die ihre Politik in diesen Fragen bestimmen.

1. Eine europäische Friedensordnung muß auf Freiheit und Gerechtigkeit aufgebaut sein. Jede Nation hat das Recht, ihre eigene Lebensform frei zu bestimmen, ihr politisches, wirtschaftliches und soziales System selbst zu wählen und unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen anderer Nationen für ihre Sicherheit zu sorgen. Die Gerechtigkeit fordert, daß dem deutschen Volk die Möglichkeit gegeben wird, seine nationale Einheit auf der Grundlage dieses Grundrechts wiederherzustellen.

2. Die Wiedervereinigung Deutschlands bleibt gemeinsame Verantwortlichkeit der Vier Mächte die 1945 die oberste Gewalt in Deutschland übernahmen — eine Verantwortlichkeit, die in der Direktive der vier Regierungschefs in Genf im Juli 1955 erneut bekräftigt wurde. Gleichzeitig erfordert die deutsche Wiedervereinigung die aktive Mitarbeit des gesamten deutschen Volkes, unter solchen Bedingungen, die die Freiheit seiner Willensäußerung gewährleisten.

3. Die unnatürliche Teilung Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin ist eine ständige Quelle internationaler Spannung. Solange Deutschland geteilt ist, kann es keinen Friedensvertrag mit Deutschland und keine Stabilität in Europa geben. Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist nicht nur eine elementare Forderung der Gerechtigkeit für das deutsche Volk; sie ist darüber hinaus die einzige gesunde Grundlage für eine dauernde Friedensordnung in Europa.

4. Nur eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung kann im Namen eines wiedervereinigten Deutschlands Verpflichtungen übernehmen, die anderen Ländern Vertrauen einflößen und die vom deutschen Volk selbst als gerecht und für die Zukunft bindend angesehen werden.

5. Eine solche Regierung kann nur aus freien, in ganz Deutschland durchgeführten Wahlen zu einer gesamtdeutschen Nationalversammlung hervorgehen.

6. Ein wiedervereinigtes Deutschland darf nicht diskriminiert werden. Seine Freiheit und seine Sicherheit dürfen nicht durch eine auferlegte Neutralisierung oder Entmilitarisierung beeinträchtigt werden. Seine Regierung muß frei über seine Außenpolitik und seine internationalen Bindungen bestimmen können. Es muß das in der Satzung der Vereinten Nationen anerkannte Recht aller Völker haben, sich an kollektiven Einrichtungen zur Selbstverteidigung zu beteiligen.

7. Die Wiederherstellung der nationalen Einheit Deutschlands entsprechend dem frei zum Ausdruck gebrachten Willen des deutschen Volkes bedeutet weder eine Bedrohung der Nachbarn Deutschlands noch eine Beeinträchtigung ihrer Sicherheit. Um trotzdem jeder Besorgnis zu begegnen, die andere Regierungen in dieser Hinsicht haben könnten, sollten im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung Vorkehrungen getroffen werden, welche die berechtigten Sicherheitsinteressen aller beteiligten Staaten berücksichtigen. Aus dieser Erwägung schlugen die Westmächte auf der Genfer Außenministerkonferenz einen Zusicherungsvertrag für den Fall der Wiedervereinigung Deutschlands vor.

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