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Artikel über die Debatte um die deutsche Wiederbewaffnung (14. September 1950)

Die alliierten Abkommen der Kriegsjahre und das Potsdamer Abkommen vom August 1945 hatten die Entmilitarisierung Deutschlands zu einem wichtigen Kriegsziel erklärt und eine Wiederbewaffnung ausgeschlossen. Unter den veränderten Rahmenbedingungen des Kalten Krieges und des Ausbruchs des Koreakrieges beginnt aber früh die Debatte um einen deutschen Beitrag zur Verteidigung Europas. Der Zeit-Journalist Claus Jacobi möchte für die Garantie der Sicherheit der Bundesrepublik gegen äußere Angriffe weiterhin die Alliierten in die Pflicht nehmen, plädiert aber für ihre Entlastung durch die Aufstellung einer westdeutschen „Heimwehr“, um Ruhe und Ordnung im Inneren ohne fremde Hilfe sicherstellen zu können.

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Heimwehr statt deutscher Armee

»Haben Sie schon die neue deutsche Uniform gesehen?« – mit diesen Worten wandte sich Bundeskanzler Dr. Adenauer am Schluß einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche an die anwesenden Journalisten. »Nein« war die erwartungsvolle Antwort. Darauf Adenauer: »Ich auch nicht.« Sprach’s und ging verschmitzt lächelnd von dannen. »Ich auch noch nicht«, hätte er ebensogut sagen können, wenn ihm der Bericht des außenpolitischen Kommentators der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press schon vorgelegen hätte, der einen Tag später seine Meldung aus New York mit den Worten begann: »Eines ist sicher in diesen ungewissen Tagen: eine erfolgreiche Verteidigung Europas gegen einen kommunistischen Angriff ist nur bei einer ... Wiederaufrüstung Westdeutschlands möglich.«

Wahrlich, wenn das Tempo der letzten Wochen in der Wiederaufrüstungsdebatte noch eine Weile anhält, darf man mit Fug erwarten, daß im nächsten Jahr vormilitärische Übungen auf dem Stundenplan der Kindergärten stehen werden. Was heute in- und ausländischen Politikern, Militärs und Korrespondenten glatt über die Lippen fließt, hätte noch vor Jahresfrist einen Drew Middleton zu ganzen Artikelserien inspiriert. Allein diese Groteske hat auch ihre ernste Seite: daß es dabei um unseren Kopf, um unser Leben geht.

Man mag der Politik des Bundeskanzlers manche Mängel nachweisen. Aber man kann ihm nicht vorwerfen, daß er in der »Remilitarisierung« leichtfertig zu Werke ginge. Erst als der Ausbruch des Korea-Konflikts es offenbar werden ließ, daß weiteres Zaudern tödlich wirken könnte, schob er die letzten Bedenken beiseite.

Die Wahl des nun notwendig gewordenen militärischen Beraters bestätigte diese Haltung aufs neue; nicht einer jener geschäftigen Bruderschafts-Generäle, kein interview-freudiger Manteuffel oder Guderian, sondern ein ruhiger und besonnener Mann, General Graf Schwerin, wurde vom Kanzler für diesen Posten ausgesucht. Und auch an die Alliierten hat Dr. Adenauer trotz der drohenden Gefahr keine überspannten Forderungen gestellt, so wenig, wie er etwas für Deutschlands Beitritt in den Europa-Rat gefordert hat. Des Kanzlers Entscheidung für den Westen war bedingungslos, war und ist es noch heute.

So fordert er denn nicht, aber er hofft zurecht, daß die Alliierten erkennen mögen, welche politischen und militärischen Voraussetzungen sie heute zu erfüllen haben. Voraussetzungen, die sich daraus ergeben, daß ein gefesselter Mann, dessen Kopf in einem Löwenmaul liegt, mit wenig Vertrauen in die Zukunft blickt.

So wie ein Polizist für die Sicherheit eines von ihm entwaffneten Amokläufers verantwortlich ist, so sind es die Westmächte für die militärische Sicherheit der Bundesrepublik. Niemand kann sie aus dieser moralischen Verpflichtung entbinden. Das aber heißt nicht, daß wir ihnen dabei nicht helfen könnten. Zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung in der Bundesrepublik sollte baldmöglichst eine Schutztruppe aufgestellt werden, eine Art Home Guard, die schlagkräftig genug ist, jeden Aufruhr, jeden Putsch, ja jeden Bürgerkrieg erfolgreich zu beenden.

Ihre Aufgabe wäre weder rein polizeilicher noch militärischer Art; ihre Stärke müßte auf jeden Fall der der sowjetzonalen Polizei entsprechen. Mit anderen Worten: Für die äußere Sicherheit, als Garantie gegen einen Generalangriff aus dem Osten sind nach wie vor die Westmächte verantwortlich; je mehr Divisionen sie über den Atlantik schicken, desto besser. Für die innere Sicherheit jedoch können und wollen wir – sobald die äußeren Voraussetzungen erfüllt sind – selbst sorgen. Dies sei die »militärische Botschaft« der Deutschen an New York.



Quelle: Claus Jacobi, „Heimwehr statt deutscher Armee“, Die Zeit, 14. September 1950.

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