GHDI logo


Wahlsieg für die „Allianz” (19. März 1990)

Die Tageszeitung beschreibt das Ausmaß des konservativen Sieges bei der ersten freien Wahl in der Geschichte der DDR und zitiert Kommentare der überraschten Politiker, die sich das Ergebnis zu erklären versuchen und dabei über die Bedeutung des Ergebnisses für den Vereinigungsprozess nachdenken.

Druckfassung     Dokumenten-Liste vorheriges Dokument      nächstes Dokument

Seite 1 von 2


DDR-Bürger haben den Kohl fett gemacht. Sensationeller Wahlsieg für die „Allianz“

Volkskammerwahl der DDR mit völlig überraschendem Ausgang: Konservative triumphieren, bleiben aber knapp unter der absoluten Mehrheit. Favorisierte SPD bei schlappen 22 Prozent, PDS bei 16 Prozent. Bürgerbewegungen abgeschlagen mit drei Prozent. „Von der DDR bleibt nichts als eine Fußnote in der Weltgeschichte“.



Berlin (taz) – Die erste freie Volkskammerwahl in der DDR hat einen sensationellen Wahlsieg für die konservative „Allianz” gebracht. Nach der letzten ZDF-Hochrechnung von 22 Uhr war ein haushoher Wahlsieg für die Kohl-Zöglinge sicher. Danach erhielten die drei Parteien der „Allianz” zusammen 49,8 Prozent. Nicht der Wahlsieg der Konservativen, sondern allein die Frage der absoluten Mehrheit war noch offen. Nach dieser Hochrechnung lagen sie allerdings mit 199 von 400 Sitzen noch knapp darunter.

Großer Wahlverlierer der DDR-Wahl, an der sich mehr als 93 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten, ist die SPD, die nur auf 22 Prozent kam. Sie war zuvor in nahezu allen Meinungsumfragen noch hoch favorisiert worden. Die PDS schnitt dagegen mit 16 Prozent überraschend gut ab.

Innerhalb der Allianz dominierte die CDU. Bei der ARD-Hochrechnung erhielt die alte Blockpartei und Namensvetter in der Bonner Schwarzröcke allein 40,5 Prozent. Die DSU steuerte 6,8, der Demokratische Aufbruch mit dem geschaßten Stasi-Mann und Ex-Vorsitzenden Schnur 1,0 Prozent bei.

Von den kleinen Parteien konnte das liberale Bündnis mit etwa 5 Prozent noch am besten abschneiden. Die im Bündnis 90 zusammengeschlossenen Väter und Mütter der Revolution blieben dagegen marginal bei offenbar nur 3 Prozent der Stimmen. Das Wahlbündnis von Grünen und Frauen lag bei 2 Prozent der Stimmen.

Schon in den ersten Stellungnahmen von Ost-CDU-Chef de Maiziere und dem SPD-Vorsitzenden Böhme deutete sich die Bildung einer Großen Koalition an. Maiziere sagte, er befürworte eine breite Zusammenarbeit mit anderen Parteien in der zukünftigen Volkskammer, da „Verfassungsänderungen durchgesetzt werden müssen”. Böhme nickte ihm freundlich zu und stimmte Koalitionsverhandlungen mit der „Allianz” grundsätzlich zu. Er selbst werde allerdings nicht in eine künftige DDR-Regierung eintreten.

Der stellvertretende Vorsitzende der DDR-SPD, Markus Meckel, hatte zuvor die Schlappe seiner Partei als erster eingestanden. Er nannte als mögliche Ursache den in den letzten Wochen „äußerst problematischen” und unfairen Wahlkampf sowie die „Unerfahrenheit” der Wähler. Das Ergebnis sei katastrophal für dieses Land. Meckels Parteifreund Steffen Reiche sagte: „Die DDR-Bürger haben sich für die Bundesregierung entschieden, nicht für eine bestimmte Partei.”

Die ersten Worte des stellvertretenden Vorsitzenden der Ost-CDU, Horst Korbella: „Ich bin fassungslos.” Der vielleicht künftige DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere sieht für die Zukunft “große Erwartungen an uns und an die Bundesregierung”. Der CDU-Chef will den West-Weinpanscher Pieroth definitiv als Wirtschaftsminister in die DDR importieren.

erste Seite < vorherige Seite   |   nächste Seite > letzte Seite